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Euphoria – Build a better Dystopia

Verlag: Stonemaiergames
Autoren: Jamey Stegmaier und Alan Stone
Spieleranzahl: 2-6
Alter: ab 13 Jahre
Spieldauer: 60-120 Minuten

Mittlerweile habe ich den Satz „Eigentlich mag ich keine Workerplacement-Spiele, aber XY ist eine Ausnahme“ schon so oft gesagt, dass ich vermutlich unglaubwürdig werde, wenn ich ihn hier schon wieder verwende. Also sollte ich das lassen… Stattdessen schreibe ich lieber, was Euphoria (genauso wie Village oder Tzolkín) aus meiner WP-kritischen Sicht richtig macht.

1.) Schnelle, Kurze Züge: Ähnlich wie bei Tzolkin setzt man auch bei Euphoria immer nur einen Arbeiter auf einmal ein oder holt beliebig viele Arbieter zurück. Bei Tzolkin möchte man Arbeiter nicht zurückholen, weil sie auf den Zahnrädern weiterwandern, hier möchte man eigentlich schon alle zurückhaben, um flexibel zu sein… aber es gibt einen Kniff: Die Arbeiter sind Würfel (normale Sechsseiter) und zurückgenommene Arbeiter müssen gewürfelt werden und wenn die Würfelsumme aus Arbeitern und deren Intelligenz (ja, dafür gibt es eine Leiste!) zu hoch ist, merken die, wie geknechtet sie hier werden und einer verlässt den Spieler! Daher lässt man gerne auch einmal den einen oder anderen auf dem Brett, in der Hoffnung, ein Mitspieler schiebt den weg (Bei den meisten Aktionen werden stehende Arbeiter einfach verdrängt).

Umgekehrt möchte man durchaus ein paar Arbeiter in seinem Vorrat haben – nicht nur, um mehr Aktionen durchzuführen, sondern auch weil ein Pasch (oder Mehrling) es erlaubt alle entsprechenden Würfel auf einmal einzusetzen, was einen Tempogewinn bedeuten kann.

Ein schönes Dilemma – doch der Aktionsradius innerhalb eines Zuges ist begrenzt, daher spielt sich Euphoria recht flott (wenn es einmal verstanden wurde – siehe unten).

2.) Einfaches Grunprinzip: Euphoria erschlägt einem anfangs mit Möglichkeiten: 7 verschiedene Rohstoffe und alle mit anderen Einsatzmöglichkeiten, Zusätzliche Arbeiter,  Karten (die in Siegpunkte umgewandelt werden können), Rekruten (die Vorteile verschaffen, aber erst einmal freigespielt werden müssen), neue Gebäude, die errichtet werden (und wer da nicht mithilft bekommt eine zusätzliche Strafe), Felder, die durch andere Aktionen freigespielt werden und dann nicht für alle zur Verfügung stehen, Möglichkeiten das Handlimit zu erhöhen oder die Intelligenz zu verringern.  Die Einsetzmöglichkeiten für den einen Arbeiter sind hoch. Ein Anfänger weiß gar nicht, was er eigentlich machen sollte und versucht irgendwie mit dem Strom zu schwimmen. Zum Glück lichtet sich das Bild bald. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die grundsätzlichen Regeln überschaubar sind – alles andere sind Anwendungen. Darin unterscheidet es sich fundamental von Spielen wie z.B. Trajan oder Egizia, bei dem jede Leiste, jedes Subgame einen eigenen Regelsatz hat. Ein Beispiel: Die Erklärungszeit vor meiner ersten Partie betrug so 25 Minuten. Nach einer Partie Spielerfahrung sank diese Zeit bereits auf unter die Hälfte, einfach weil ich wusste, wo der gemeinsame Nenner der Aktionen liegt. Ein weiterer Faktor ist die klare Ikonographie, die hier wirklich gelungen ist.

3.) Spezialisierungsmöglichkeit: Wer bei Village versucht, alles zu machen, fliegt normalerweise auf die Nase. Hier ist es ähnlich. Die Möglichkeiten sind so zahlreich, dass man sich leicht verzettelt. Zum Glück kann man sich auf wenige Aspekte konzentrieren. Zwar sollte man flexibel bleiben (wenn gebaut wird, sollte man möglichst dabei sein, um keine Strafe abzubekommen), aber „to have a plan“ ist hier wirklich von Vorteil. Dabei sind die möglichen Strategien recht vielfältig und lassen sich von den Vorteil des Rekruten, den man als Startkapital bekommt und den Mitspielern ableiten. Da die Möglichkeiten so flexibel sind, spielt sich eine Partie Euphoria auch jedes Mal anders. Ich habe nicht das Gefühl, dass Spiel vollständig ausgelotet zu haben. Auch das ist für mich ein Vorteil, gegenüber anderen Spielen, bei denen ich irgendwie alles machen muss oder bei denen es „Zwangsaktionen“ gibt, ohne die man nicht auskommt. Sowas gibt es hier nicht. Ich habe sogar schon gewonnen, ohne einen Arbeiter gebaut zu haben – ein Novum bei WP-Spielen.

4. Das Spielerische kommt nicht zu kurz: Obwohl man einen Plan haben sollte, muss man bei Euphoria nichts berechnen und es bleibt genügend Platz für das Bauchgefühl. Das ist vielleicht der größte Vorteil gegenüber WP-Spielen der ersten Generation. Ich erinnere mich an meine erste Partie Maestro Leonardo bei der ich am Ende weniger Geld hat als bei Spielbeginn (Geldvermehrhung ist das Ziel), weil ich keine Lust hatte, immer die realen Kosten und Erträge durchzurechnen. Solche Effekte fehlen hier: Euphoria bietet Platz zum planen, aber bewahrt sich eine gewisse Lockerheit. Nicht zuletzt aufgrund der interaktiven Elemente (einige Felder verändern den Vertrag, wenn bereits Würfel dort liegen und dann sind da die erwähnten Bauplätze) und des Würfelns. Dabei hatte ich niemals das Gefühl dem Würfel ausgeliefert zu sein. Gewiss, es kann einen schon einmal böse erwischen (einmal verließ mich ein frisch gebauter Arbeiter beim ersten Zurücknehmen sofort wieder), aber ich hatte nie das Gefühl, diese Glückelemente sind spielentscheidend. Zumal sich die Dinge ja zu einem gewissen Grade steuern lassen: Die Würfel durch die Intelligenzleiste und die Anzahl Würfel, die man zurücknimmt. Bei den Karten sind Paare gut, und die lassen sich durch ein höheres Handlimit eher erwischen. Generell habe ich das Gefühl, dass die Glückelemente eher einen gelegentlichen Vorteil verschaffen, als einen Nachteil. Spielentscheidend sind die nicht.

Mit (vielleicht) einer Ausnahme: Die Rekruten. Ich bin nicht sicher, wie ausgeglichen die sind, aber es ist schon gut, wenn die Vorteile mehrerer Rekruiten zusammenpassen. Und zudem können weitere Vorteile freigespielt werden. Dazu hilft es ungemein, wenn mehrere Spieler zufällig Rekruiten derselben Gruppe (es gibt vier) gezogen haben. Das kann schon ein Vorteil sein, aber ich denke nicht, dass der spielentscheidend ist, wenn die Verteilung nicht sehr extrem verläuft (was allenfalls bei 5 oder 6 Spielern der Fall ist). Insgesamt erhöhen die Zufallselemente die Spielbarkeit und sorgen für das Spielerische, ohne frustrierend zu wirken – so soll es sein!

Wer es bis hierher geschafft hat, dem sollte klar geworden sein, dass Euphoria mir sehr gut gefallen hat. Was ich aber noch gar nicht erwähnt habe, ist das Thema. Das hat seinen Grund: Es ist nicht sehr präsent. Ich bin sehr froh, dass Euphoria nicht im Mittelalter spielt, aber mit Ausnahme der Intelligenzleiste für die weglaufenden Arbeiter ist das Thema „Dystopie“ auf kleine Anspielungen in der Graphik und auf den Karten beschränkt. Es erklärt ein paar Regeln, die sonst etwas merkwürdig wären, aber eingetaucht wird in die Spielwelt nicht gerade. Das ist aber für mich völlig OK.

Peer Sylvester
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