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Amazonas

Verlag: Kosmos
Autor: Stefan Dorra
Spieleranzahl: 3-4
Alter: ab 10 Jahren
Spieldauer: 50 Minuten

Ah, der Amazonas! „Aufbruch ins grüne Paradies“ steht auf der Schachtel – da bekommt man doch sofort Lust auf Abenteuer, Entdeckungen, Atmosphäre… Hinein in Spiel!
Tatsächlich ist die optische Gestaltung des Spieles umwerfend. Hier kommt wirklich Dschungelstimmung auf! Da dürfte es kein Problem mehr für das Spiel sein, mitzuhalten… oder?

Der Spielplan zeigt ein Gebiet des Amazonas mit Dörfern, die durch Pfade oder Wasserwege miteinander verbunden sind (Ja, es gibt feste Wege auf dem Fluss, die auch nicht verlassen werden können. Für mich als Segler eine grauenhafte Vorstellung). Die Dörfer bieten mehrere freie Plätze für Forschungsstationen sowie Aussicht auf etwas Sehenswertes – auf Fische, Leguane, Orchideen, Schmetterlinge und Aras etwa (womit auch die 5 Forschungsbereiche genannt wären).
Das Spiel selbst verläuft über 18 Runden. In jeder Runde passiert etwas, so daß alle 18 möglichen Ereignisse einmal eintreffen. Steht fest, was in der jeweiligen Runde passiert, werden Gelder eingetrieben. Dies funktioniert nach dem El-Grande-Prinzip: Karte spielen und 0–6 Silbertaler einsammeln. Natürlich darf eine Karte erst dann ein zweites Mal verwendet werden, nachdem alle anderen auch gespielt wurden. Hinzu kommen allerdings noch Boni für gesammelte Plättchen (so bekommt man bei einer gespielten 5 neben dem Basiseinkommen noch einen Taler pro gesammelten Orchideenplättchen). Gleichzeitig wird auf diese Weise die Spielreihenfolge bestimmt: Wer viel bekommen hat, darf als erstes bauen, denn das Geld wird gleich wieder investiert. Gebaut werden darf in Dörfern, die mittels Weg mit bereits gebauten Stationen verbunden sind und die noch mindestens einen Bauplatz frei haben. Der Preis variiert zwischen 6 und 15 Silberstücken und das ist viel, liegt das Einkommen doch selten über deren fünf. Generell gilt auch beim Bauen: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben – Bauplätze werden immer teurer, je mehr Leute dort bereits gebaut haben. Das Bauen ist aber kein Selbstzweck sondern wird mit einem Chip des dort befindlichen Forschungsbereiches belohnt – der bringt seinerseits Einkommen und am Ende hoffentlich Siegpunkte.
Am Ende des Spieles wird gewertet: Wer die Hütten seines anfänglich gezogenen Geheimauftrages nicht verbinden konnte, fängt schon mal mit Miesen an. Pluspunkte gibt es wenn alle 5 Forschungsbereiche mindestens einmal besucht wurden (je früher desto mehr). Für gesammelte Plättchen gibt es auch noch Punkte, aber nur wenn mindestens 3 Plättchen in dem entsprechenden Bereich erjagt wurden – für 2 gibt’s nichts. Selbstredend gewinnt der Punktbeste.

Der Amazonas steht ja in dem Ruf gnadenlos gegenüber dem Unerfahrenen zu sein. In diesem Sinne ist das „Spiel zum Fluss“ eine gelungene Umsetzung: Wer aus dem Bauch heraus spielt, wird keinen Stich sehen.
Das liegt zum einen an dem sehr zufallslosen Spielablauf: Der einzige Glücksfaktor sind die Ereigniskarten und da ist nur die Reihenfolge zufällig – alles was passieren kann wird passieren… irgendwann. Wer sich verplant, kann kaum auf ein rettendes Ereignis hoffen; Man erntet, was man gesät hat, nicht mehr aber eventuell weniger.
Der andere Grund ist, daß es sehr schwer ist, einen Fehlstart oder eine temporäre Schwäche wieder auszugleichen: Wer viele Plättchen hat, bekommt viel Einkommen und kann folglich mehr Hütten bauen um noch mehr Einkommen zu erhalten. Außerdem sichert ein hohes Einkommen auch einen ersten Platz in der Spielerreihenfolge. Das wiederum hat den Vorteil, daß man anderen die billigeren Bauplätze wegschnappen kann – die müssen dann mit weniger Einkommen teurere Plätze besetzen oder bekommen gar überhaupt keinen Bauplatz in dem gewünschten Dorf mehr ab. Daß es da schwer wird einen Rückstand aufzuholen, ist klar. Schwer heißt aber nicht unmöglich, mit etwas aggressiven und koordiniertem Bauen kann ein Führender mit vereinten Kräften durchaus noch eingefangen werden – vorausgesetzt die knappen Ressourcen lassen dies zu.

Trotzdem verwundert es etwas, daß Kosmos da bei der Entwicklung nicht nachgesteuert hat (mittlerweile ist eine neue Punktwertung aufgetaucht, die dieses Problem beheben soll, es aber nicht wirklich tut). Noch merkwürdiger ist aber, daß erst nach der Veröffentlichung eine Regeländerung nachgeschoben wurde, die den Nachteil des blauen Spielers ausgleicht – so etwas darf einem renommierten Verlag eigentlich nicht passieren!

Aber genug gemeckert. Amazonas hat durchaus seinen Reiz, sofern man „Buchhalterspiele“ mag. Der Mechanismus ist durchaus interessant; man kalkuliert und plant und hofft, daß alle Planung aufgeht und daß sie Mitspieler nicht wieder mal da bauen, wo man selbst hinwollte. Was dagegen komplett fehlt, ist die spielerische Leichtigkeit. Das Gebotene erinnert teilweise an Arbeit und nicht an Spielen. Was nicht fehlen dürfte ist ein Hinweis an Anfänger, nämlich der, das im Süden der Karte eine 8-Döfer-Reise möglich ist, die durch alle 5 Forschungsgebiete führt und bei der jede Station nur das Minimum kostet. Wer diese Route als einziger nimmt, steht als Sieger im Prinzip schon fest.

Alles in allem fällt es schwer ein Fazit zu ziehen: Mir gefällt der Grundmechanismus. Mir gefallen die planerischen Herausforderungen, die Amazonas bietet. Mir gefällt nicht das Wer-hat-dem-wird-gegeben-Syndrom und die absolute Intoleranz gegenüber Spielfehlern. Es ärgert mich, daß dieses Spiel so unperfekt ist, denn ich würde es hier wirklich gerne weiterempfehlen. Doch aufgrund der beschrieben Probleme kann ich dies nicht guten Gewissens tun. Es bleibt ein Wertungskompromiß und der wenig hilfreiche Hinweis, es vor einem geplantem Kauf unbedingt probezuspielen.

Peer Sylvester
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