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Alcazar

Verlag: Kosmos
Autor: Wolfgang Kramer
Spieleranzahl: 2-5
Alter: ab 10 Jahre
Spieldauer: ca. 60-90 Minuten

Es zeugt nicht gerade vom Selbstbewusstsein eines Rezensenten, wenn er eine Rezi mit der Warnung beginnt, dass andere Rezis zu ganz anderen Schlüssen kommen. Aber was soll’s! Es ist tatsächlich so: Viele Alcazar-Rezis fallen deutlich negativer aus als meine (Udo Bartsch ließ sich sogar zu dem Satz hinreißen: „Alcazar nimmt im Regal gleich Platz für zwei gute Spiele weg.“) Woran liegt’s? An meinem Rezensionsexemplar? Nein, eher daran, dass es schon eine gewisse Anzahl an Partien braucht, um Gefallen an Alcazar finden zu können. Und dafür gibt es gleich mehrere Gründe:

Es hilft z.B. nicht gerade, wenn man weiß, dass Alcazar eine Weiterentwicklung von Big Boss ist, welches wiederrum von Acquire inspiriert ist. Das weckt nämlich völlig falsche Erwartungen: Bei Big Boss (und Acquire) ging es um Aktien, um das Zusammenwachsen von Hotelketten und um Geld. Bei Alcazar wächst zwar auch was zusammen (nämlich spanische Burgen. Ja, das Thema ist aufgesetzt), aber Dividenden gibt’s keine. Aktien auch nicht. Die Burgen gehören niemandem. Vielmehr versucht man – ähnlich wie bei Torres – seine Spielsteine möglichst hoch in einer Burg zu platzieren. Das geschieht meistens durch Baumaßnahmen. Um eine Burg zu gründen bedarf es einer Zahlenkarte (dieses Element erinnert noch an die Big Boss-Wurzeln). Auf das entsprechende Feld und auf die Nachbarfelder werden Grundsteine gelegt. Auf eines dieser Felder kann man nun eine Figur legen. Da für jedes Feld nur genau eine Karte existiert, wird man geschickterweise die Figur nicht auf das Feld legen, für das man die Karte gerade weggelegt hat, sondern möglichst ein Feld wählen, deren Karte man auf der Hand hält. Mit der passenden Zahlenkarte kann man nämlich auch ein Stockwerk hochbauen. Wie kommt man noch höher? Zum einen gibt es Turmkarten, die das Bauen eines Stockwerkes ermöglichen. Die sind aber zum einen beschränkt (max. 5 Stockwerke), zum anderen teuer: Sie kosten 10 Gold und 10 Gold entsprechen am Ende einem Siegpunkt. Auch ein Stockwerk bringt für eine normale Figur nur einen Siegpunkt, das wäre also ein reines Nullsummenspiel. Der Einsatz lohnt sich nur für die Meister-Figur, die 2 Siegpunkte pro Stockwerk bringt. Der wahre Schlüssel zum Sieg sind die Brücken; diese verbinden zwei Schlossteile oder zwei Schlösser, die genau den richtigen Abstand haben müssen. Ihr Einsatz benötigt keine Karte und so konzentriert sich ein großer Teil des Spieles auf das richtige Platzieren von Steinen, so dass möglichst viele Brücken gebaut werden können. Dieser Teil des Spieles ist ausgesprochen reizvoll – wenn man solch ein Gepuzzle denn mag.
Ums Geld geht’s bei Alcazar allerdings auch und hier kommt es zu ungewollten Assoziationen zu den Vorgängern: Für jede Baumaßnahme gibt es Geld und zwar so viel wie die Burg wert ist. Die Burg ist so viel Geld wert, aus wie vielen Teilen sie besteht, maximal aber 50 Gold. Das bedeutet: Am Anfang ist das Geld knapp und es kommt wenig Geld dazu, da die Burgen noch klein sind. Hier muss der Einsatz des Geldes wirklich wohlbedacht sein. Ab dem Mittelspiel bekommt man aber ständig recht viel Geld. Man schwimmt förmlich in Geld. Sicherlich, für jeweils 10 Geld bekommt man einen Siegpunkt (und so lohnt sich u.U. ein sinnloses Anbauen mehr als kunstvolle Türme, die nur dazu dienen, eine einzelne Brücke zu errichten), aber irgendwie wirkt die Inflation merkwürdig und etwas ungewollt.
Insbesondere dürfen Burgen, welche die Maximalgröße erreicht haben, nicht mehr Verschmelzen, was in den ersten Partien stört (und auch mal vergessen wird), mit mehr Spielerfahrung aber durchaus Sinn ergibt. Warum nun ungewollte Assoziationen? Weil Spielanleitung und Vorgänger suggerieren, es spiele irgendeine Rolle, wer wen übernimmt. Ganze Absätze sind diesem Punkt in der Regel gewidmet, dabei ist es völlig wuppe: Da die Burg niemandem gehört, geht es einzig allein um die Frage, welcher Marker den neuen Wert der Burg anzeigt. Nichts könnte unwichtiger sein. Das Zusammenwachsen der Burgen hat lediglich eine Wertsteigerung der Burg zur Folge, nicht ganz unwichtig, aber der Stellenwert liegt doch mehrere Zehnerpotenzen unter dem einer Hotelkettenfusion bei Acquire.

Überhaupt: Viele Regelstümpfe erinnern noch an Big Boss/Acquire. Dadurch erwartet jeder etwas Entsprechendes. Aber spielerisch haben die Spiele eigentlich nichts mehr gemein, Alcazar ist ein Denkspiel (wie Torres), kein Wirtschaftsspiel. Hier hätte ein radikalerer Schnitt erfolgen müssen, so dass keine falschen Erwartungen geweckt werden, die dann nicht erfüllt werden.

Verstärkt wird dieser Punkt noch dadurch, dass Alcazar nicht gerade intuitiv ist: Während der ersten Partie hat man noch keinen Plan, wie man überhaupt an das Spiel herangeht. Wer sich sonst nicht zu behelfen weiß, greift eben auf die Erfahrung mit den „Urspielen“ zurück… und geht baden. Die Inflation bei Spielende tut ein Übriges. Resultat: Schlechter Ersteindruck – weg damit, Spiel verkauft!

Was ein Fehler wäre, denn Alcazar entpuppt sich bei näherer Betrachtung als schönes Familiengrübelspiel. Und „schön“ ist wörtlich zu nehmen: Das Material ist 1a. Gäbe es den Sonderpreis „Schönes Spiel“ noch, könnte sich Alcazar ernsthafte Hoffnungen machen!
Also: Das Spiel ist gut. Aber man darf nichts über die Vorgeschichte wissen. Man darf sich nicht von vielen uneleganten Regeln abschrecken lassen, die in Verbindung mit dem völlig unpassendem Thema den Eindruck eines sehr mechanischen Spiel aufkommen lassen, bei dem es gehörig unter dem Motor klappert. Die Qualitäten des Spieles sind also versteckt, aber sie sind zweifellos vorhanden.
Weswegen ich es hier empfehle. Wenn auch mit Einschränkungen.

Peer Sylvester
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