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Civilization – Ein neuer Anfang

Manchmal muss man einfach einen Neuanfang wagen. Man muss einen Schritt zurückgehen und ehrlich einschätzen wo man steht und einen harten Schlußstrich ziehen. Man muss mit einem ungewohnten Ansatz und neuem Mut Aufgaben angehen. Aber genug über meine Schwierigkeiten beim Einparken.

Ich möchte hier über Sid Meier’s Civilization – Ein neuer Anfang sprechen. Der zweite Anlauf von Fantasy Flight Games einen der Grundpfeiler des 4X-Genres in die Brettspielwelt zu transportieren. Nachdem 2010 bereits Kevin Wilson (der Kopf hinter dem Cosmic Encounter-Reboot, dem Arkham Horror-Reboot und der Grundlage für Descent) einen Versuch gewagt hatte, darf nun James Kniffen ran.

Sid Meier’s Civilization – A New Dawn folgt zwar namentlich der Spielreihe, die ein ganzes Genre geformt war, orientiert sich inhaltlich aber klar an den Anforderungen des modernen Brettspielmarkts. Daher ist es auch kein Wunder, dass das Spielgefühl eher an Scythe erinnert. Ein Vertreter der aktuellen Designmode, komplexe Zusammenhänge einfach zu verpacken, effiziente Regelkombinationen in den Mittelpunkt zu legen und Frustmomente gezielt zu entschärfen. Wenn man andere Spieler erfolgreich angreift, so verlangsamt man ihre Strategie, statt sie gänzlich zu verhindern. Das Civilization-Spiel von 2010 spielt sich im Vergleich zur aktuellen Version wie ein verbissener Messerkampf in einer Telefonzelle. (Für unsere jüngeren Leser: eine Telefonzelle ist eine öffentliche Umkleidekabine für Superhelden.)

A New Dawn unterscheidet sich jedoch an zwei Punkten deutlich von Scythe. Zum einen fehlt das visuelle Brimborium mit dem das Spiel unvermeidlich Interesse weckt. Civilizations Spielmaterial ist überschaubar, ohne deutliche Lücken zu haben. Die grafische Aufmachung ist farbenfroh, aber nicht knallbunt. Stegmaiers Opus Magnum löste bei mir zwar in jeder Runde Langeweile aus, dennoch verleiten mich Illustrationen und Spielkomponenten dazu dem Spiel eine weitere Chance geben zu wollen.

Ausblick auf einen befriedeten und zivilisierten Kontinents

Diese Langeweile tritt bei Civilization nicht ein, denn negatives Feedback wird hier anders gehandhabt. Scythe straft eine sub-optimale Entscheidung des Spielers damit, dass das gesetzte Ziel zwei Züge später erreicht wird. Genau genommen ist das aber nicht wesentlich anders als eine Runde aussetzen zu müssen. Bei Civilization hingegen führt jede Entscheidung dazu, dass bis zu vier andere Aktionen in ihrer Wirkungskraft aufgewertet werden. Der Grund dafür liegt in der dezenten, aber wirkungsvollen Veränderung, die die Fokusleiste in das Spiel bringt. Fünf Aktionskarten werden darunter ausgebreitet und jede Position modifiziert die darunter liegende Aktion mit einem Multiplikator (falls im Kartentext anwendbar) und einer Gebietsangabe. Letztere gibt vor auf welche Art von Gebiet diese Aktion anwendbar ist, bzw. durch welches sie nicht behindert wird. Wählt man eine Aktion, die sich auf Position 3 befindet, so kann die Aktion nicht auf Gebiete angewandt werden, die auf der Leiste höher liegen. Wer in den Bergen tätig sein will, muss warten bis seine Aktionskarte auf den höchsten Platz gewandert ist. Erst dann kann man etwa in den Bergen Städte gründen oder durch diese ziehen. Wohingegen eine einfache Hügellandschaft schon ab Position 2 nutzbar ist. Sobald eine Aktion abgehandelt wurde, wandert diese auf Position 1 der Fokusleiste, und die restlichen Aktionen rücken entsprechend auf. Man setzt damit keine Runde mehr aus, sondern investiert im schlimmsten Fall seinen Zug, um eine andere Aktion vorzubereiten. Das fühlt sich nicht nach einer Verlangsamung an, sondern wie ein kleiner Schub nach vorne. Auch das führt dazu, dass sich das Spiel flott und flüssig anfühlt. So viel Spaß habe ich sonst nur, wenn der Balken meines Steam-Downloads sich unaufhaltsam nach vorne schiebt.

Kniffens Civilization ist kurz. Zumindest im Vergleich zu seinen Namensvettern, die sich gerne jenseits der 4-Stunden-Grenze bewegten. In A New Dawn saust eine Spielrunde nur so an einem vorbei. Es wird eine von 5 Aktionen gewählt, ausgeführt und schon darf das nächte Kulturhaupt seine Gefolgsleute einen Schritt näher in die Zukunft katapultieren. Die Aktionen werden Kategorien zugeordnet: Wissenschaft, Kultur, Industrie, Militär und Wirtschaft. Je nachdem wie gut man in den jeweiligen Bereichen geforscht hat, haben diese Aktionen unterschiedlich starke Auswirkungen. Dabei ist jede Verbesserung nicht immer eine rein mathematische Aufwertung der Effekte. Es gibt oft sekundäre Effekte oder Kniffe (vermutlich auf Beharren des Designers eingefügt), die in einer höheren Stufe nicht mehr zur Verfügung stehen. Um die Aktionen auseinander zu halten, wurden sie mit schmissigen Namen belegt: Mauerwerk, Währung, Nationalismus, Massenmedien. Civilization ist, wie man sieht, ein sehr amerikanisches Spiel.

Hier kommt dann auch der erste Stolperstein: das Design folgt der alten Schule der Immersion, der es meist ausreicht abstrakte Regelmechanismen mit themenverwandten Bezeichnungen zu umschreiben. Der Mechanismus hat nichts mit der Bezeichnung zu tun, aber die Bezeichnung hat etwas mit dem Thema zu tun. Wer das für thematisch Spielen hält, glaubt vermutlich auch, dass die AFD weniger als drei Lügen im Namen trägt. Die eigentliche Thematik manifestiert sich aber je her im Spielgefühl und hier wird die Frage interessant.

Was genau macht ein Zivilisations-Spiel denn thematisch? Es sind offensichtlich nicht die Komponentenbezeichnungen allein. Ist es das Spielkonzept? Das stufenweise Aufbauen unterschiedlicher Regelkomponenten, die miteinander verzahnt sind um in komplexer werdenden Aktionsmöglichkeiten zu münden? Das würde aber auch für einen Großteil der sogenannten Eurogames gelten. Diese alle als Zivilisationsspiele zu bezeichnen, geht vielleicht etwas weit. Oder ist es das Ausfüllen der 4X-Formel? Explore, Expand, Exploit und Exterminate? (Erforschen, Ausweiten, Ausbeuten, Auslöschen – Dass sich damit Kolonialismus perfekt umschreiben lässt, ignorieren wir wie die letzten 40 Jahre einfach weiter. Dann kann man auch die unangenehmen politischen Fragen, die sich daraus ergeben, bequem ausblenden.) Alle diese Fragen helfen sicherlich das Genre etwas einzugrenzen, aber reichen noch nicht aus, um ein Spiel dieser Kategorie zuzuordnen. Ich meine, dass die unabdingbare Eigenschaft eines Zivilisationsspiels schlicht… seine Größe ist. Vor Wikipedia wurde das gesammelte Wissen der Menschheit in Reihen abgelegt

Was den “echten” Zivilisationsspielen gemein ist, ist nicht unbedingt ihre Treue zur Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Es ist die Tatsache, dass sie lang sind und man es mit einem komplexen Regelgebilde zu tun hat, über das man die Kontrolle erringen muss. Denn darum geht es in diesen Spielen wirklich: man beweist, dass man die Kontrolle über die Regeln, den Spielverlauf und möglichst viele der Spielstadien hat. Ein echtes Zivilisationsspiel muss lang sein, schwer zu verstehen und noch schwerer zu meistern sein. Damit läuft dieses Genre aber zwei der Hauptströmungen des heutigen Brettspielhobbies zuwider: überschaubare Spieldauer und zugängliche Spielmechanismen.

So kommt es dann auch, dass sich A New Dawn vielerorts rechtfertigen muss den Namen Civilization zu tragen. Was es an militärischer Interaktion gibt, ist selten verheerend. So wie etwa beim Vorläufer von 2010, oder dem Karten-basierten “Im Wandel der Zeiten”. Für manche ist das ein Manko. Für meine Spielgruppe erhöht das lediglich die Wahrscheinlichkeit, dass das Spiel schon bald wieder auf den Tisch kommt. Die Spieldauer lässt sich mit Sicherheit nicht als episch bezeichnen, so wie bei Fantasy Flights Vorzeigetitel Twilight Imperium oder dem auf absurde Spiellänge ausgelegten Mega-Civilization. Damit verliert eine abgeschlossene Spielrunde von A New Dawn zwar etwas an Glamour, aber gewinnt auch an zu erwartender Spielhäufigkeit. Die Neuauflage punktet, wenn es ums Spielkonzept geht. Hier geht es nämlich ganz nach “schaffe, schaffe, häusle baue”-Prinzip und es wird um die Wette geforscht, gebaut und voraus geplant. Aber eben ohne große Gedächtnisleistungen abzuverlangen, weil es 20 Minuten gedauert hat, bis man wieder am Zug war.

Ein Neuer Anfang in der Civilization-Reihe steht für ein elegantes Optimierungsspiel, bei dem Aufbauen wichtiger ist als Zerstören und welches auch spielende Väter und Mütter in ihre Abendplanung unterbringen können. Wie so viele Spiele des letzten Jahres ist es von sehr hoher, aber nicht atemberaubender Qualität.

Ach übrigens… ich bin Georgios. Ich habe früher einen englisch-sprachigen Brettspiel-Podcast gemacht und dann damit aufgehört. Jetzt schreibe ich hier meine Eindrücke und Überlegungen zu Spielen und Spieldesign auf. Ich habe eine Schwäche für ungewöhnliche Spielideen, neue Designansätze und ausgefallene Hintergründe. Ich schätze Spiele sehr, die für viele Arten von Spielern zugänglich sind. Solche die eine geringe Glückskomponente als Qualitätsargument hochhalten, langweilen mich eher. Die beste Serie aller Zeiten ist The Wire. Der beste Kabarettist Deutschlands ist weiterhin Volker Pispers. Und Fettes Brot wird wohl niemals den Geniestreich namens “Jein” übertreffen.

Damit sollte alles wichtige gesagt sein.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Georgios Panagiotidis
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2 Kommentare

    • Fettes Brot auf ein Lied zu reduzieren ist unverschämt! ;) :D

      Schöner Artikel, der meine Vermutung bestätigt und mich eher einen Bogen um das Spiel machen lässt. Ich will bei solchen Spiele epische Momente a la Eclipse, Civilization (2010), Through the Ages. Diese schnell Kost, zack und fertig, fühlt sich falsch an. Ich finde Scythe als Optimierungs-Wettrennen auch schon zu gehetzt.