spielbar.com

Wollen wir sie reinlasse?

Seanan McGuire ist eine erfolgreiche Schriftstellerin (vor allem Urban Fantasy) und hat hier einen längeren Twitter-Thread begonnen. Zusammengefasst: Sie konnte in ihrer Jugend nicht viel mit den SF-Klassikern von Heinlein oder Asimov anfangen (vor allem auch weil das Frauenbild deren Bücher sehr, äh, eindimensional war) und wäre dem Genre, in dem sie jetzt schreibt, verloren gegangen, wenn sie auf die Stimmen gehört hätte, die sagten, müsse diese Klassiker lesen, um ein echter SF-Fan zu sein.

Nun, einmal zeigt es wieder einmal, das mehr Diversität eben auch mehr bringt – wobei die Identifizierung bei Büchern natürlich noch wichtiger ist, als bei Brettspielen. Aber ich möchte heute auf etwas anderes hinaus: Aufs Gatekeeping nämlich.

Sicherlich wird kaum einer ernsthaft behaupten „Wer XY nicht gespielt hat, der darf sich nicht Brettspieler nennen!“. Aber ein bisschen impliziert wird schon gerne: Ein echter Brettspieler fährt regelmässig nach Essen. Wer nicht schon mindestens seit 10 Jahren spielt, sollte sich bei Diskussionen über Spiele zurückhalten. Eine ernsthzunehmende Sammlung fängt erst bei 500 Spielen an, alles darunter ist, naja, noch kein so richtiges Hobby. Alles Sätze, die ich schon so oder ähnlich gehört oder gelesen (na gut, vor allem gelesen) habe und die durchaus auch ernsthaft in dieser oder abgeschwächter Form vertreten werden. Da kann ich nur sagen: Liebe Leute, Spielen ist ein Hobby. Wer spielen will ist willkommen. Hier sollte es keine Eignungstests geben! Wer hat das Recht einem anderen vorzuschreiben, mit was er seine Freizeit verbringen möchte? Niemand – So viel sollte klar sein! Wenn ich über Inklusion gesprochen habe, dann schließt das eben auch ein, dass man Neulinge willkommen heißt und nicht, dass man ihnen das Gefühl gibt, sie wären Spieler 2. Klasse.

Es gibt allerdings auch Dinge, bei denen ich mir noch unsicher bin, wo ich stehe. Zum Beispiel bei Bildern von vollen Regalen oder den „Loot Pictures“ nach Essen – einerseits ist es interessant, was die Leute haben, andererseits vermittelt es nach ein bisschen das Bild, dass eine Masse an Spielen zu besitzen, irgendwie das Ziel ist (statt nur Kollateralschaden), was wiederum Neulinge abschrecken kann – insbesonders weniger situierte Neulinge. Das gilt insbesonders, wenn es sich um Bilder von Reziexemplaren handelt. Hier vermisse ich manchmal doch etwas das Fingerspitzengefühl. Bin mir aber -wie gesagt – noch nicht sicher ob ich da übersensibel reagiere.  Als Positivbeispiel dennoch einmal der Disclaimer von Actaulol. (0:21)

So, nun da wir geklärt haben (= ich meinen Sermon abgegebeben habe), dass Hobbyspieler machen können, was sie wollen (Im Rahmen der Freiheitlich-demokratischen Grundordnung versteht sich) – wie sieht es dann mit Profis aus? Mit anderen Worten: Darf einfach jeder so hier anfangen und Spiele machen? Oder darüber schreiben?

Ja.Warum nicht?

Klar: Man wird schnell feststellen, dass es einen ungemein hilft, wenn man sich mit dem auskennt, was man macht. Wenn man den Markt kennt, wenn man Spiele kennt, wenn man -mit anderen Worten – viel spielt. Das gilt für alles, was man professionell anfängt: Wenn ich ein Buch schreibe, hilft es, wenn ich so ungefähr weiß, was in dem Genre schon alles probiert wurde, wenn ich weiß, was von potentiellen Lesern erwartet wird und was vielleicht gar nicht gerne gesehen wird. Das gilt auch für Spiele. Wenn ich über Spiele schreibe, so hilft es meinen Lesern ungemein, wenn ich Bezüge zu anderen Spielen aufstellen kann, wenn ich ein bisschen weiß, was in der Szene gewollt und nicht gewollt wird. Wenn ich das nicht tue, wird es ungleich schwerer irgendwen zu erreichen.

Tatsächlich wird es aber nicht viel konkreter als das. Und selbst das könnte schon fast zu viel sein – Reiner Knizia hat z.B. mal gesagt, dass er keine Spiele von anderen Autoren spielt. Aber er informiert sich dennoch über die Spiele. Offensichtlich reicht das schon. Wenn man ein Reiner Knizia ist, zumindest. Normalsterbliche tun aber gut daran, sich mit dem Marktsektor auszukennen, in dem sie arbeiten wollen. Aber wie gesagt: Konkreter wird es nicht. Ich bin kein Freund davon zu sagen : „Diese Spiele MUSS man gespielt haben, um die Brettspielwelt zu verstehen“. Schon allein deswegen, weil es keinen Kanon gibt, der vollständg wäre und gleichzeitig keinen, der nicht unglaublich viele Leute ausschließen würde, die gemauso talentiert und kompetent arbeiten, wie die, die den Kanon erfüllen. Ein Beispiel: Muss man Dominion gespielt haben, um Deckbauspiele zu verstehen? Reicht es vielleicht auch, irgendein anderes Deckbauspiel (z.B. Ascension) gespielt zu haben? Muss man überhaupt ein Deckbauspiel gespielt haben? Was ist, wenn ich gar kein Deckbauspiel machen möchte, wenn die mich nicht interessieren?

Ein Kanon ist reines Gatekeeping. Ein Kanon dient nur dem einen Zweck: Eine Gruppe von Leuten in zwei Sorten einzuteilen: In die und in wir (und natürlich liegt man selbst immer im „Wir“) . Das ist das Gegenteil von Inklusivität und das ist für ein Hobby inakzeptabel. Und für Profis unnötig, denn da zählt nur: Gute Arbeit oder nicht.

ciao

peer

Peer Sylvester
Letzte Artikel von Peer Sylvester (Alle anzeigen)

2 Kommentare

  • Da wir schon auf Twitter ausführlich darüber diskutiert haben – von mir nur eines:
    Ich bin sehr pro Kanon. Und mir geht es hier ganz und gar nicht um Gatekeeping. Niemand will und soll sich dadurch profilieren. Hier geht es um eine ganz einfache Sache: Will ich in der Branche arbeiten (=rezensieren, erfinden, redaktionell betreuen), sollte ich die Branche kennen. Das heißt bei uns eben unter anderem: man muss Spiele kennen. Je mehr, umso besser. Je vielschichtiger, umso besser. Und hier gibt es einige wichtige Vertreter ihres Genres, die man einfach kennen sollte, ja einfach kennen MUSS, in meinen Augen. Nein, Ascension reicht nicht für das Deckbuilding-Genre. Es ist ein entscheidender Design-Aspekt, ob ich aus einem fixen Pool oder einen wandelnden Auslage drafte. Es gehr mir auch nicht darum zu shamen oder jemanden zu belächeln, wenn er ein Spiel nicht kennt – es geht mir um das Ergebnis. Und das profitiert einfach immens, wenn man hier in der Branche arbeitet. Ich denke, das gilt nicht nur für unsere Branche. Wissen um den Markt ist immer wichtig. Wie du auch bereits vollkommen richtig festgestellt hast …
    Wenn ich einfach nur Spiele spielen möchte, konsumieren, ist das vollkommen Wurscht.
    Da bin ich voll bei dir.

  • Wir sind ja nicht weit weg voneinander. Natürlich ist es gut, wenn man viele verschiedene Spiele kennt (ich bin der erste, der zugibt, dass es mir ungemein hilft, dass ich mit modernen Brettspielen förmlich aufgewachsen bin).
    Ich denke nur, dass ein konkreter Kanon (wenn man sich auf einen einigen könnte) unnötig ist. Einmal ist es so, dass man für fast jedes Spiel eine gute Begründung finden kann, warum man das konkrete Spiel gespielt haben MUSS. Wir können uns hier locker auf 2000-3000 Titel einigen, insbesondere wenn Klassiker und Kinderspiele dabei sind – Hinzu kommen dann noch immer die ganzen Neuerscheinungen jedes Jahr und schon spielt man nur noch, um dem Kanon zu genügen – von „Spaß“ oder gar „Testen von prototypen“ bleibt dann nichts mehr. Das ist schlicht nicht praktikabel! (Bzw. es gibt nur noch sehr, sehr wenige, die das leisten können und dann ist man wieder beim Gatekeeping)
    Zweitens ist das nicht notwendig, denn zum einen heißt „informiert“ nicht immer „muss gespielt haben“, zum anderen muss man sich mittlerweile schon ein bisschen spezialisiseren – wie in jedem Feld auch. Ein gutes Beispiel sind die Ostasiatischen Spieleautoren, die sich sicherlich besser mit japanischen (koreanischen, indonesischen…) Spielen auskennen, als wir, aber sicherlich nicht den „Europäischen Kanon“ gespielt haben, an den wir denken würden-
    Drittens gibt es durchaus auch Gründe, ein Spiel nicht zu spielen – So kam während der Entwicklung von „Wir sind das Volk“ Twilight Struggle heraus und ich habe das bewusst NICHT gespielt, um mich nicht beeinflussen zu lassen. Auch sorum wird manchmal ein Schuh draus.