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Es war einmal… das Spiel! Geschichten, die Geschichte machen oder so.

Wenn man genau drüber nachdenkt, ist es eigentlich komisch, dass viele Brettspiele Bücher sein wollen. Oder Computerspiele. Es sind doch Brettspiele! Und wie ich gerne schreibe: Jedes Medium hat seine Stärken und Schwächen. Und die Stärke von Brettspielen ist es nun nicht unbedingt, eine Geschichte zu erzählen. Das hindert aber die Spieleautoren nicht daran, es immer wieder zu versuchen. Warum nur? Ganz klar: Eine Geschichte gemeinsam zu erleben ist eben etwas ganz anderes als alleine vor dem Computer oder dem Fernseher (selbst wenn jemand neben einem sitzt) oder dem Buch.

Was ist das Problem von Brettbasierten Geschichten? Generell ist es eine Herausforderung innerhalb der Geschichte das Spiel nicht zu vernachlässigen: Damit es ein Brettspiel wird, muss es ein Ziel geben und auch eine irgendwie geartete Möglichkeit das zu erreichen. Und diese sollte möglichst schon von den eigenen Entscheidungen abhängen – sonst kann man wirklich gemeinsam einen Film schauen. Eine weitere Frage ist es, wie sinnvoll diese Entscheidungen getroffen werden können – Wenn ich die Auswahl zwischen A und B habe, ich aber keine Möglichkeit habe, zu wissen wie sich dieser Unterschied auswirkt, dann ist der spielerische Gehalt potentiell eben auch nicht so hoch (Natürlich kann das unterhaltsam sein – Veto von Urs Hostetter ist z.B. ein gutes Beispiel. Genau wie der Hexenmeister vom Flammenden Berg). Ähnliches gilt wenn eine Option nun klar besser ist, als die andere – das ist dann nur wenig anders, als gar keine Entscheidung treffen zu können. Das nennt man in Rollenspielkreisen übrigens „Railroading“.

(Kurzer Einschub: Ich klammere jetzt bewusste Erzählspiele wie Rollenspiele aus, bei denen das gemeinsame Erzählen einer Geschichte im Vordergrund steht. Ähnliches gilt für Spiele wie Story vom Pferd oder Es war einmal…. Hier geht es um Brettspiele, in deren Spielverlauf den Spielern eine Geschichte dargeboten wird. )

Ein grundsätzliches Problem ist dabei, dass eine gute Geschichte eben von Wendungen und Überraschungen lebt und diese nun gerade sehr schlecht in „normale“ Brettspiele passen – einmal weil sie regeltechnisch schwer zu erfassen sind, zum anderen, weil sie eben diese Entscheidungsfindung erschweren. Wenn ich mich für Option A entscheide und im Laufe der Geschichte kommt raus, dass Option B besser gewesen wäre, ist dies defacto ein Glückselement, dass nicht immer zum restlichen Spiel passt (Das dürfte z.B. eine Herausforderung bei SeaFall gewesen sein – Nicht Spieler belohnen/bestrafen, weil sie eine Entscheidung getroffen haben, dessen Auswirkung sie nicht kennen konnten). Dies ist das Entscheidungsdilemma.

Wie gehen nun unterschiedliche Systeme mit diesen Problemen um?

Die unterste Stufe der Storybasierten Spiele ist prinzipiell der „Flavour Text“ : Eigentlich spielt man ein „normales“ Spiel, aber Athmosphäre soll durch die Texte erzeugt werden und bei den besseren Vertretern auch durch bestimmte Regeln. Vielleicht am überzeugensten macht dies Android, da die Charaktere im Spiel auch ihre eigenen Decks haben, die deren Stärken und Schwächen wiederspiegeln. Das Problem ist natürlich, dass nicht jeder den Flavourtext liest -insbesondere bei einem ohnehin schon anstrengend zu spielenden Spiel. Etwas besser kann man die Story integrieren, wenn man sie auf Ereignisse beschränkt, wie das z.B. bei Winter der Toten der Fall ist. Hier werden die Ereignisse an bestimmte Handlungen der Spieler gekoppelt, so dass zumindest Storyhappen auch mit dem Spiel der Spieler zusammenhängen, was etwas besser ist, als „nur“ Kartentexte zu lesen. Der Nachteil ist natürlich wieder die mangelende Vorhersehbarkeit. Ob ein Ereignis (das negativ oder positiv sein kann – und auch schon mal das Spiel entscheidet in krassen Fällen) getriggert wird oder nicht, ist reiner Zufall.
Das andere Ende der Leiste wären Spiele ohne eigene Entscheidungen, die (ähnlich wie reine Roll&Moves) den Spieler ohne Entscheidungsmöglichkeiten herumschicken. Da fallen mir aber keine Beispiele ein… vermutlich nicht von ungefähr :-)

Auswahlspiele: Im englischen gibt es den Ausdruck der „Choose your own Adventure-Books“, bei dem die Spieler einfache (meist binäre) Entscheidungeb treffen und an entsprechender Stelle weiterlesen. Diesen Mechanismus findet man auch in Brettspielen. Wie genau das geschieht ist recht unterschiedlich: Häufig sind es Entscheidungen, deren Ausgang von den eigenen Werten und dem Zufall abhängen. Beispiele dafür sind vor allem Geschichten aus 1001 Nacht, Agents of Smersh oder aktueller Oben und Unten, aber auch das „Weltraum-Siedler“ benutzt diesen Mechanismus im geringeren Maß. Gerade wenn die Ereignisse nicht zusammenhängen ist dies ein einfach zu inkorporierender Mechanismus, der durchaus auch für nette Geschichten sorgt. Es sind aber zumeist eben genau keine Entscheidungen, die mehr sind als reines Probieren. Gerade wenn das Ergebnis unvorhersehbar ist, kann sich ein gefühl der Beliebigkeit einstellen, denn als das einer guten Geschichte. Natürlich wird dieses Gefühl verstärkt, wenn der Ausgang nicht unwesentlich vom Zufall abhängt und/oder die Entscheidungen kein „Gedächtnis“ haben, wie es oft der Fall ist (Das war ein Vorteil von King Arthur: Der Chip merkt sich, wie ich in der Vergangenheit entschieden habe – das ist aber ohne Elektronik schwierig hinzubekommen).

Richtig auf die Spitze getrieben wird das Prinzip bei T.I.M.E Stories (Der Link geht zu meiner Rezi), bei dem das Spiel genaugenommen ein solches Buch ist. Der Vorteil ist ein deutlich größeres Gefühl für die Geschichte. Hier geht es um mehr als nur ein paar Storyelemente. Hier entsteht tatsächlich eine Geschichte. Das Entscheidungsdilemma wird aber nicht wirklich gelöst. Durch das Wiederholen desselben Spieles, kann man natürlich optimieren und Querverweise besser einschätzen. Dennoch wird auch hier kräftig railroading betrieben

(Noch ein kurzer Hinweis: Alle diese Einschätzungen sind nicht negativ gemeint per se – vieles ist Geschmackssache, vieles hängt auch von der konkreten Implementierung ab. Pandemie macht auch Spaß, obwohl es das Quarterbacking-Problem kooperativer Spiele  nicht löst. Mit anderen Worten: Hier geht es um eine reine Einschätzung, was bislang möglich gemacht wurde und was nicht).

Textbasierte Szenarios: Hier fasse ich einmal in einem Sammelbregiff alles zusammen, was Szenarios benutzt und nicht in die anderen Kategorien passt. Spiele wie Betrayal at the House of the Hill:Die Idee ist es ein normales Spiel (In diesem Fall Einer gegen alle) mit Informationen zu koppeln, die nicht alle Spieler kennen. Der Vorteil: Das Spiel steht im Vordergrund. Es lassen sich aber neue Regeln oder Überraschungen einbauen (wenn nur ein Spieler bestimmte Informationen hat). Der Nachteil: Das ist alles mit sehr viel Lesen verbunden und entsprechend aufwendig ist die Produktion. Außerdem muss man darauf achten, dass die Überraschungen und sonstigen geheimen Informationen keine „Spielkiller“ sind, sondern sich möglichst aus der Geschichte heraus ergeben. Sonst können die anderen Spieler nicht darauf reagieren. Ich denke, dass dieses Prinzip noch nicht wirklich ausgereizt ist.

Escape-Games habe ich ja gerade erst ausgeleuchtet. Eines der Probleme ist es, über die Rätsel die Geschichte nicht zu vergessen. Wie in meinem Vergleich zwischen Exit und Escape Room beschrieben, geschieht das unterschiedlich gut. Das Hauptproblem ist es ein Setting zu geben, innerhalb dessen die Rätsel sinn machen (etwas wo auch Real Escape Rooms oder Browserspiele regelmäßig scheitern) und dmöglichst noch die Gerschichte nicht allzu linear ablaufen zu lassen. Am besten geschieht das m.E. im Sherlock Holmes Criminal Cabinet, dass prinzipiell auch den Aufbau eines Escape Rooms hat: Auch hier steht das Lösen von Rätseln im Vordergrund, auch hier muss man sich überlegen, welche Informationen man überhaupt braucht (und wo man die herbekommt), auch hier sind keinerlei strategischen oder taktischen Entscheidungen zu treffen – stattdessen muss man die einzelnen Teile einer Geschichte finden. Sherlock Holmes ist deutlich offener und Storylastiger als herkömmliche Escape Games (und es wundert mich, dass das Prinzip nicht wieder aufgegriffen wurde, bietet es doch sehr viele Möglichkeiten), hat aber den Nachteil, dass es keine echte Auflösung am Ende gibt, die über „Wir gucken mal nach, ob wir alles richtig haben“ hinausgeht – hier fehlt noch ein passender Kontrollmechanismus, der das Ende bestimmt.

Das Legacy-Prinzip benutzt den umgekehrten Ansatz gegenüber den meisten Mechanismen hier: Das Spiel steht im Mittelpunkt und wird durch eine Geschichte ergänzt. Die Legacy-Spiele funktionieren alle auch ohne Legacy. Aber eine zusätzliche Geschichte sorgt potentiell für Spielspaß, aber auch nur, weil sie eben zukünftige Partien beeinflusst. Das Entscheidungsdilemma wird umgangen, weil die Geschichte (weitestgehend) zwischen den Spielen stattfindet. Daher ist bei einer gegebenen Partie keiner unmittelbar benachteilt, wenn die Story Haken schlägt. Allerdings bleibt die Frage wie gut das System funktioniert, wenn die Spiele nicht kooperativ sind. Das kann ich aufgrund mangelnder Erfahrungen mit Risk Legacy und SeaFall noch nicht beurteilen. Und so schön die Geschichte ist, es ist schwierig in ihr mehr zu sehen als eine Rahmenhandlung für das gerade konkret gespielte Szenario (wenn man so will, ist jeder Monat bei Pandemie Legacy ein eigenes Szenario – ähnlich wie die Szenarios bei Spielen wie Memoir ´44 nur mit etwas individualisertreen Spielbrettern, die aber nicht zentral für die Story sind). Hier bin ich schon gespannt, wie diverse Autoren das Prinzip nutzen und ausdehnen, um neue Geschichten zu erzählen.

Natürlich bleibt die Frage, was man selbst für Präferenzen für Storybasierte Spiele hat. Das ist letztlich dieselbe Frage wie „Thema vs. Mechanismus“ oder „Simulation vs. Eurogame“ und eine Frage des individuellen Geschmacks. Bislang bieten die Storybasierten Spiele Abwechslung auf dem Spieltisch. Mein persönlicher Goldstandard wären aber Spiele, die

a) Strategisch funktionieren, aber eine starke Geschichte bieten (eine starke externe Geschichte, wäre vielleicht genauer. Jedes Werwolfspiel kreiriet seine eigene Geschichte…) oder

b) das Spielfeeling klassischer Computeradventures auf den Spieltisch bringen.

Beides ist in meinen Augen noch nicht erreicht worden. Sherlock Holmes kommt an b) dicht dran, alles andere scheitert an Rätseln oder Geschichte. Und ob a) aufgrund des Entscheidungsdilemma überhaupt möglich ist, ist noch offen. Aber die Geschichte der Storybasierten Brettspiele ist noch jung und das Klima im Moment sehr günstig für Innovationen….

ciao

peer

 

 

Peer Sylvester
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6 Kommentare

  • Ein positives Beispiel für ein gelungenes „Erzählspiel“ ist m. E. „Die Legenden von Andor“: Innerhalb einer Legende wird eine Geschichte erzählt und die Legenden selbst haben sich noch eine Rahmenhandlung.
    Fällt dies bei dir bereits in die Kategorie „Rollenspiel“?

  • Eher unter Textbasiertes Szenario – Es ist ja in erster Linie ein kooperatives Spiel, bei dem die Story durch die Rahmenhandlung vorgegeben wird. _Während_ des eigentlichen Spieles kommt ja eher wenig Story dazu (Wobei ich kein Andorspezialist bin und nicht weiß, wie es bei den späteren Szenarios aussieht).

    (Und nochmal: Keine Kritik, sondern nur der Versuch einer Einordnung)

  • OK, das passt einigermaßen – allerdings ohne die von dir erwähnten Nachteile (viel zu lesen, aufwändige Produktion).

    Dass das keine Kritik ist, ist mir schon klar. Ich wollte halt nur ein gutes Beispiel eines „Erzählspiels“ nennen, was ohne großen Aufwand viel Story rüberbringen kann.

  • Das stimmt :-)
    Was aber wieder daran liegt, dass die Story nicht so stark ist, wie z.B. bei Betrayal, bzw. weil das Lesen vor/nach dem eigentlichen Siuel stattfindet. Man kann das also durchaus umgehen, geht dabei aber einen anderen Kompromiss ein.
    Ich gebe aber zu, dass ich an Andor nicht gedacht habe :-)

  • Übrigens gibt es bei „Andor“ auch während des Spielens Storywendungen. Der „Erzähler“ (ein bei bestimmten Aktionen vorrückender Spielstein, welcher ggf. neue Ereignisse auslöst bzw. die Geschichte weiterspinnt) ist m. E. das eigentlich geniale an diesem Spielsystem. Der „Rest“ ist im Wesentlichen ein einfaches (und sehr schön gestaltetes) Such-, Lauf- und Raufspiel… (nicht negativ gemeint)…

  • Konkrete Geschichten entweder durch das Spiel selbst zu erzählen, bzw. herauszufinden, ist in vieler Augen ein Trend, klar. Als Drehbuchautor, Theaterregisseur und Spieleautor wundert mich das allerdings gar nicht. Denn der Mensch denkt in Geschichten – das ist, was ihn zum Menschen macht. Und im Grunde sind Spiele nichts anderes als Tools, selbst Geschichten zu erfinden und gleichzeitig zu erleben. Nicht konkret, aber eben doch Spannung, Dramaturgie, Hochs und Tiefs, Siege und Niederlagen durchzuspielen in einer parallelen, eben „spielerischen“ Realität. Schauspieler spielen, Romanautoren spielen mit den Elementen ihrer Storylines, bis die Konstruktion „aufgeht“ – wie ein großes Puzzle, das uns als Rezipienten befriedigt zurücklässt. Warum? Weil „Geschichte“ so viel bedeutet wie: etwas ergibt „Sinn“ – was in der wirklichen Realrealität eben nur eher sporadisch der Fall ist.
    Welche Fußballspiele bleiben in Erinnerung als „legendär“? Diejenigen, welche der universellen Story-Dramaturgie am meisten entsprechen. 0:2 Rückstand zur Halbzeit, dann aufholen, in der 89. den Ausgleich und in der letzten Aktion der Partie das 3:2 schaffen. Gleichermaßen als sinnhaft erlebt von der Gegenseite als Tragödie.
    Deine Betrachtung gilt nur der Spitze des Eisbergs von Spielen, die jetzt tatsächlich konkretes Storytelling mit integrieren – dass da gerade viel herumprobiert wird, ist offenbar. Ich denke, da ist auch durchaus noch viel Luft und das Genre noch längst nicht ausgereizt. Man muss nur beides können – und da gibt es nicht sooo viele Spieleautoren mit dem entsprechenden Know-How. Anders bei den PC-Games, die aufgrund des Bewegtbildes sehr viel näher am Film dran sind und Filmstudenten oft rüberwechseln.