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Ersteindrücke Apotheca, Tin Goose

Hallo,

Sommer heißt: Anderer Rhytmus. In meinem Fall wird ein bevorstehender Umzug (innerhalb Berlins) vermutlich für Unregelmäßigkeiten im Blogverkehr sorgen. Vermutlich werde ich etwas über die SdJ-Vergabe schreiben (wobei: Wenn sich die Jury ans Skript hält, gewinnen Pandemic Legacy und Codenames und da ist eigentlich schon alles zu gesagt) und etwas zu meinem nächsten Spiel Let them eat cake. Darüber hinaus: Mal sehen. Ein bisschen hängts auch davon ab, wie schnell ich das Internet im neuen Heim zum laufen kriege. Denn eine Sache steht fest: Ich werde keine Blogartikel auf meinem Handy verfassen. Meine Rechtschreinfelerquote ist auch so schon hoch genug.

In diesem Sinne: Zum Ausklingen einen Eimer Ersteindrückeindrücke und am Ende noch eine philosophische Frage.

Apotheca (Federspiel bei Knapsackgames): Apotheker. Das ist der Beruf, der in erster Linie mit Lakritze handelt. In diesem Spiel machen Sie noch mehr: Sie schieben Flaschen mit Tränken auf einem Marktplatz hin und her. Wie es Apotheca (alte Rechtschreibung) eben so tun.

Wenn man böse wäre, könnte man sagen, Kickstarter macht selbst aus Tic-Tac-Toe noch eine Materialschlacht. Aber so schlecht ist das Spiel gar nicht: Man versucht in der Tat Plättchen gleicher Farbe in eine Dreierreihe zu bringen (allerdings auf einem 4×4-Brett), denn wenn man das dreimal geschafft hat, hat man gewonnen. Allerdings bewegt man die Plättchen und wie man die Bewegen kann, geben Karten vor. Diese Karten kann man kaufen und später einsetzen. Ähnlich wie bei Abyss gehen Karten verloren, wenn man eine Reihe bildet, sich also dem Spielziel nähert. Das ist…nett. Vielmehr kann ich nicht zum Spiel sagen: Die Idee ist nicht neu, Spielablauf ist wohlbekannt, aber wenigstens flott gespielt und auf den Punkt. Aber auch irgendwie nichts großartig besonderes. Kann man durchaus mal spielen. Ich erwarte, das sich das mit meiner Tochter in einem Jahr oder so spielen kann. Wenn nicht, ists aber auch nicht schlimm. Ehrlich gesagt weiß ich nicht mehr, warum ich das bei Kickstarter unterstützt habe, es muss wohl günstig gewesen sein. Alleine war ich nicht – das Ding lief wirklich gut. Und entsprechend ist das Spiel schön überproduziert: Statt „Kupferkessel & Co“ – Format (was angemessen wäre), sind die Plättchen bierdeckelgroß. Die Schachtel hat fast einen Kosmos (ist etwas flacher). Die Karten sind wunderschön – fallen aber in die übliche Design-Falle, dass die schönen Bilder den größten Raum einnehmen und die eigentliche Kartenfunktion aufs untere Fünftel beschränkt wird, wodurch das eigentlich Interessante zu klein gedruckt wird. Aber bei Kickstarter kommts eben mehr auf die Graphik, denn auf die Funktionalität an… Ach so, Apotheca ist tatsächlich in erster Linie ein Zweier. Mehr kann ich beim besten Willen nicht über das Spiel sagen, so un-bemerkenswert ist es. Wenn wichtigstes Kriterium eines Spieles ist, dass es nicht schlecht ist, ist Apotheca gut.

Tin Goose (Calkins bei Rio Grande): Hier ist alles besser als bei Apotheca, außer vielleicht die Graphik (aber die ist nicht schlecht). Aber es ist auch ein anderes Spiel. Natürlich ist es das. Tin Goose ist im Prinzip ein Eisenbahnspiel, nur dass die Eisenbahnen fliegen können. Es sind nämlich Flugzeuge. Das Spiel geht über sieben Runden und jeder Spieler ist pro Runde tatsächlich nur einmal dran. Das ist ca. sechsmal weniger, als man bräuchte, um alles tun zu können, was man vorhatte. Wer dran ist spielt eine Karte und greift eventuell einen Bonus ab. In erster Linie spielt er aber die Karte. Das sind meistens Flugzeuge, die versteigert werden. Wer sie ersteigert, kann entweder seine Flotte um zwei Flieger vergrößern oder er ersetzt alte Flugzeuge damit. Ersteres ermöglicht das Vergrößern des Netzwerkes und man kann einen der Nachteile abwerfen, mit denen man das Spiel beginnt (ein schöner Mechanismus! Statt Karten zu bekommen, die etwas verbessern, wird man eine Karte los, die einen Nachteil bringt!). Im zweiten Fall passiert das nicht. Der einzige Vorteil den man hat: Man macht seine Flugzeuge sicherer und/oder billiger im Unterhalt. Wobei nicht sicher ist, ob das überhaupt sinnvoll ist. Der zweite Kartentyp -neben Flugzeugen -sind Ereignisse. Deren gibt es drei: Bei einem Crash bekommen die Spieler mit den unsichersten Flugzeugen eine Strafe und der mit dem sichersten einen Bonus. Bei einer Ölkrise muss eben Unterhalt bezahlt werden (alle) und der dritte Typ, der Streik verlangt eine Extra-Währung, die man sich extra beschaffen muss. Ob Ereignisse gespielt werden und welche weiß natürlich niemand, insofern muss jeder sehen, wie viel er rsikiert und wieviel er modernisiert.

Nach dem Spielen der Karte hat der Spieler drei Aktionen, wobei er nicht dreimal dieselbe Aktion wählen darf (zweimal aber schon). So kann er einen Kredit aufnehmen (kostet keine Zinsen, aber eine Aktion tut schon weh), sein Einkommen erhöhen, besagte Zweitwährung gegen Streiks nehmen, eine Internationale Verbindung abschließen (bringt viel Geld bei Spielende, aber bindet Flugzeug und Geld vorher UND kostet zwei Aktionen) oder man bringt Flugzeuge aufs Brett. Damit baut man Netzwerke, um Städte anzuschließen, wie bei einem Eisenbahnspiel. Aber nur am Anfang, wenn man nur kleine Flugzeuge mit geringer Reichweite besitzt. Dann muss man sich ans vorgegebene Streckennetz halten. Mit mittleren Flugzeugen darf man bereits Teile überspringen und die großen können Hinfliegen, wo man will. Schließt man als erster eine Stadt an (oder eine Stadt mit einem „Demand-Marker“), erhöht sich das Einkommen. Schließt man eine Stadt mit Demand-Marker an, bekommt man sofort sein Einkommen ausbezahlt. Und Großstädte geben bei Spielende einen Bonus. Es gewinnt der reichste (kein Siegpunktgelöte, sondern gute, alte, klassische Währung zählt). Tin Goose ist für mich eine willkommene Abwechslung zu vielen herkömmöichen komplexen Euros: Die Mechanismen sind klar, ohne künstliche Komplexität und Extrakniffen, die alles nur komplizierter machen. Vor allem aber hängen die Entscheidungen von den Mitspielern ab und nicht davon, ob man noch alle Wertungsmöglichkeiten im Kopf hat und wie man die optimiert. Flugzeuge werden versteigert – bieten alle vorsichtig, wird weniger Cash gebraucht und weniger Kredite werden vergeben. Ob Ereignisse ins Spiel kommen, hängt von den Mitspielern ab – wobei man deren Sicherheitsstandard im Auge haben sollte, denn wer die unsichersten Flugzeuge hat, wird kaum einen Crash spielen. Außerdem lässt einem das Spiel viele Freiheiten – so kann man auch sein Netzwerk erweitern, obwohl man keine Flugzeuge mehr hat – das macht die Flotte aber sowohl unsicherer als auch teurer im Unterhalt (thematisch wird das so erklärt, dass man die vorhanden Kapazitäten mehr ausreizt, also die Flugzeuge häufiger in der Luft hat und weniger wartet – so wie es Billigflieger ja auch in Wirklichkeit tun). Tatsächlich haben wir nach dem Spiel und sogar noch nach dem abschließendem Absacker noch viel über mögliche Strategien diskutiert. So viel, wie schon lange nicht mehr. Sollte sich nun nicht gerade herausstellen, dass die Vielfalt an Strategien eine Täuschung ist, dann gehört Tin Goose mit Sicherheit zu den Topspielen dieses Jahres. Zumindest für Vielspieler, denn die Spieldauer kratzt an die 2,5 Stunden.

Ion: Wie sang schon Bob Marley Ion, Like a Lion, in Zion! Und genau das… Quatsch! Ion ist ein klassisches Draftingspiel: Man drafted und für Kombinationen gibt es Punkte. Die Kombinationen sind in diesem Fall Salze, die chemisch ausgeglichen sein müssen (Gleich viele positive wie negative Ladungen enthalten). Der Chemiebezug war auch der Grund dafür, dass ich mir das Spiel gekauft habe. Der Chemiebezug ist auch das einzige, was es von anderen Sammelspielen irgendwie abhebt. Wie schon Peptide vom selben Verlag ist das Spiel Standardkost und nicht irgendwie bemerkenswert. Mehr noch als bei Apotheca ist hier das Egal-Equilibrium erreicht: Es ist nicht schlecht, es fesselt aber nicht mehr als andere Spiele, die genauso funktionieren. Überhaupt sinnvoll ist Ion dabei nur mit den optionalen Modulen, da sonst das Salz-Basteln völlig banal ist. Mit allen Karten sind tatsächlich ein paar nicht-triviale Entscheidungen zu treffen, aber ganz ehrlich: Wenn Covalence nicht deutlich mehr hermacht, wars das mit Genius Games für mich erst einmal.

A Game of Gnomes: Und wo wir gerade bei Verlagen sind, bei denen ich mir nicht sicher, ob ich weiter alles blind kaufe: Ich mag die Fragor-Leute. Wirklich! Bis auf Leapfrog habe ich jedes Spiel gekauft, trotz einiger Qualitätsunterschiede. Doch A game of Gnome ist mir zu sehr show und zu wenig Spiel. Schon das Drachenspiel davor war überproduziert, aber hier machen die beiden keinen Hehl mehr daraus, dass es in erster Linie darum ging ein absurdes Teil zu produzieren. Ich bin für Humor und Witz und so, aber als Resultat ist das Spiel riesig und teuer. Auch das wäre OK, wenn es spielerisch interessant wäre. Leider merkt man dem Ganzen doch an allen Ecken und Enden an, dass es um den Berg herumentwickelt wurde. Es sind viele, viele Elemente, die aber nicht alle greifen. Ein paar kommen mehr, ein paar weniger zur Geltung. Im Kern bleibt ein „Pick up & Deliver“, dass recht mühselig zu spielen ist, weil die Downtime enorm ist. Im Gegenzug ist der Glücksfaktor ebenfalls hoch – eine ungesunde Mischung. Ich mag die beiden wirklich und so kann ich nur hoffen, dass das nächste Spiel wieder um das Spiel herum entwickelt wird.

Und jetzt zur philosophischen Frage: Wenn man ein echt schlechtes Spiel gespielt hat, macht es sinn darüber zu berichten, wenn die Chance, dass ein Leser das Spiel zufällig irgendwo sieht, gleich Null ist? Das einzige abgebrochene Spiel der letzten Wochen war ein Spiel von einem absoluten Kleinstverlag, ein Spiel, dass man sich direkt beim Autoren bestellt und der einem das dann handschnitzt. Wer würde hier von einem Verriss profitieren? Keiner bestellt sich das Spiel blind…oder doch? Naja, ich sag mal so: Satirische Spiele zu aktuellen Themen sind bislang immer schlecht gewesen: Ob Bimbes oder Banana Republica oder jetzt dieses hier. Die Entwicklungszeit für was Brauchbares ist vermutlich einfach zu lang, um schnell ein Spiel auf den Markt zu werfen. Vielleicht finden Autoren von satirischen Spielen auch einfach, dass es bei Satire nicht auf den Spielspaß ankommt, sondern aufs Gelächter. Nun hab schon mehr gelacht. Auch beim Spielen.

ciao

peer

Peer Sylvester
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2 Kommentare

  • „Und jetzt zur philosophischen Frage: Wenn man ein echt schlechtes Spiel gespielt hat, macht es sinn darüber zu berichten, wenn die Chance, dass ein Leser das Spiel zufällig irgendwo sieht, gleich Null ist?“

    Nun, du hast darüber berichtet, wenn auch allgemein, aber durchaus nicht ganz sinnlos. :)

    Wenn das Ziel eines Berichtes über Spiele ist, für gut befundene Spiele zu empfehlen oder zumindest bekannt zu machen, dann dürfte ein Totschweigen sinnvoll sein. Was mag es sonst für gründe geben?

    Die Warnung?
    Ist eher kontraproduktiv, da man sich oftmals eher an das Spiel erinnert, aber an die Wertung. Außerdem muss man nicht vor etwas gewarnt werden, mit dem man sonst kaum in Kontakt käme.

    Unterhaltungswert?
    Naja, es kann schon Spaß machen, ein Spiel zu verreißen oder einen Verriss zu lesen. Wenn der Verriss denn gut geschrieben ist und vielleicht doch etwas mehr bietet als reinen Unterhaltungswert…

    Erkenntnisgewinn?
    Man kann sich auch mit möglichen Fehlern beim Spieledesign beschäftigen. Das muss nicht nur Autoren helfen, fehler zu vermeiden, sondern kann auch Spielern helfen, Spieldesign zu verstehen.

    Die Frage ist für mich daher auch: Muss ein Spielebericht, ein Rezension, … in erster Linie Spielberatung sein. Buchrezension lese ich hin und wieder, weil mich das Thema interessiert, auch ohne dass ich nur darüber nachdenke, das Buch zu lesen.

    Rezensionen mir unbekannter Spiele lese ich selten gerne. Ist eher anstrengend als interessant. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass der thematische Inhalt bei Spielen oftmals beliebig ist, wenig relevant für die Qualität eines Spieles. Daher rezensiere ich auch gar nicht mehr so gerne Spiele, sondern schreibe lieber nur dann über Spiele, wenn sie etwas bieten, was über eine normale Rezension hinausgeht.