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Werkstattbericht

Ich könnte jetzt ausdiskutieren, ob es besser „Werkstattbericht“ oder „Ateliersbericht“ heißt, aber da ich durchaus auch manchmal sage, ich würde an Prototypen „schrauben, geht die Überschrift, glaube ich, so durch. Die rein geistig-kreative Arbeit findet eh hauptsächlich im Kopf statt. Leider reicht es nicht genial zu sein, man muss auch fleißig sein. Vor allem, wenn man nicht mal genial ist.

Da gerade nichts unglaublich wichtiges ansteht, dachte ich, ich gebe einmal einen kleinen Einblick in mein Treiben als Spieleautor. Keine Ahnung, obs interessiert… Ich beginne einmal mit der Vergangenheit: Im Dezember 2012 wurde meine zweite Tochter geboren und das habe ich zu einer längeren kreativen Pause genutzt. Bis Mitte 2014 habe ich eigentlich nur an Wir sind das Volk gearbeitet (von kleineren Ausnahmen abgesehen). Als das „fertig“ war (Fertig ist ein Spiel ja nie, und WsdV ja eh nicht) war die Zeit reif, sich mal wieder mit ein paar älteren Prototypen zu beschäftigen, die so zu 90% fertig waren, aber bei denen eben noch so der letzte Rest fehlte.

Das ist etwas, was ich sowieso versuche: Ich beschränke mich soweit, nicht an zu vielen Projekten gleichzeitig zu arbeiten. Irgendwann schafft man dann gar nichts mehr. Außerdem muss ja alles getestet werden und wenn man noch was anderes machen will, als Prototypen zu testen, dann sollte man keine zu lange Schlange von Protos haben, die man testen muss. Viele Spiele sind auch OK, aber noch nicht richtig gut und müssen dann etwas liegen, so dass man neue Ideen und Blickwinkel bekommt, um die Spiele zu verbessern. Auch sieht man Protos nach etwas längerer Abwesenheit etwas weniger emotional und neutraler und kann daher auch gezielter Schwachpunkte erkennen.

Richtig was neues habe ich dann tatsächlich erst letzten Sommer angefangen – das hier häufiger erwähnte Mikrogame. Möglich wurde das, weil ich North American railways endlich soweit hatte, wie ich wollte (und es kommt ja dieses Jahr bei Spielworxx) und weil ein Mikrogame nicht so viele Ressourcen und so viel Zeit verschlinkt wie ein großes Spiel (es half auch, dass ich schon ein sehr konkrete Vorstellung davon hatte, wie das Spiel aussehen sollte). Etwa zur selben Zeit fingen Richard und ich an uns langsam an eine mögliche Erweiterung für Wir sind das Volk heranzutasten – ich spiele praktisch nie zu zweit, so war es eigentlich immer mein Wunsch eine Vierpersonenvariante für das Spiel zu entwickeln. Das verselbstständigte sich aber ein wenig und wird jetzt wohl doch noch länger dauern, als gehofft. Aber es soll ja auf seine ganz eigene Art und Weise so gut werden wie das Grundspiel.

Im Herbst konnte ich noch ein älteres Spiel beenden (Fawcett), für das es im Moment auch recht gut aussieht, was eine Veröffentlichung betrifft. Dazu dann bei Gelegenheit mehr. Auch da gibt es aber Änderungswünsche bzw. Vorschläge, die ich erst einmal testen muss…

Irgendwann zwischendurch hatte ich noch die Idee für Stadt Land Fluß extrem und das hat sich praktisch von selbst erfunden, so schnell ging das.

2016 hoffe ich auf ein produktives Jahr. Ausblicke sind immer schwierig und insbesondere im kreativen Bereich kann ich nur beschreiben, was ich gerne machen würde – ob es klappt steht auf einem ganz anderen Stern. Neben den Spielen arbeite ich noch an einer anderen sehr langwierigen Geschichte und daher kann ich noch nicht absehen, was sein wird. Aber dennoch meine Wunschliste für dieses Jahr: Ich würde gerne drei „Langzeitprojekte“ abschließen, um Zeit für neues zu haben. Insgesamt bin ich bei 6 älteren Projekten etwas intensiver dran, daher hoffe ich doch sehr die Hälfte davon zu schaffen. Die Viererversion von WsdV wäre natürlich ein Traum – das ist kognitiv aber so anspruchsvoll, dass ich -wenn ich ein Projekt mit „Fingerschnippsen“ fertig stellen könnte, wäre es wohl dieses. Da stecken bislang viele wirklich gute Ideen drin, aber bislang passt das Gesamtbild noch nicht…

Dann würde ich gerne endlich ein paar neue Spiele anfangen und möglichst weit führen. Einen Absacker namens „Hilfe wir werden alle sterben!“ ist bereits in der Test- und Verbesserungsphase. Aber das ist kein Spiel von meiner „Liste“, sondern eben nur ein „kleines“ Spiel. Meine Lieblingsprojekte sind allesamt anspruchsvoller. Im Moment wäre das ein Spiel über den Aufbau Ostdeutschlands nach der Wende, ein SF-Spiel über eine Rebellion auf einer Raumstation und ein Spiel über die Huaxteca, dass in Richtung Euro geht, aber einige sehr neue Mechanismen hat (bzw. hätte, wenn es so werden würde, wie ich es mir im Moment vorstelle). Wenn ich auch nur eines der drei in ein fortgeschrittenes Stadium bringe, wäre das ein schöner Erfolg. Ich hätte auch noch ein paar Sekundärprojekte, die sich nach vorne schieben könnten, wenn die sich schneller und leichter als Proto umsetzen ließen (ich improvisiere immer gerne für ein paar Selbst-Tests, so dass ich sehe, ob die Idee hält, was sie verspricht). Noch einmal: Das sind jetzt alles Ideen, für die ich noch nichts gebastelt oder ausprobiert habe – Nur „Runden“ im Kopf und Brainstorming. Diese rein kognitive Phase ist bei mir sehr lang… Die wenigsten Projekte kommen aus dieser Phase hervor. Dafür sind es einfach zu viele… Aber mittlerweile konzentriere ich mich lieber auf die Dinge, die ich wirklich machen möchte, anstelle alles nur halbgar rauszurotzen. Zum Glück habe ich ja einen Beruf, bin also nicht darauf angewiesen regelmäßig etwas zu veröffentlichen…

Und wo wir gerade im Wolkenkuckucksheim sind: Es gibt sie natürlich auch, die Spiele und Projekte, die mich schon reizen, die aber so bockeschwer in der Umsetzung sind, dass ich sie erst anpacke, wenn ich so ein paar mehr Grundideen angesammelt und den Kopf dafür völlig frei habe: Ein Spiel über die RAF oder die Solidarnoc-Bewegung in Polen etwa oder ein Spiel bei dem sich der Schwerpunkt massiv ändert, je nach dem welche Gebäude und Monster im Spiel sind (Das Spiel hat eine Spielfläche in einer Stadt, wo sie wie ein Euro funktionieren soll, aber man darf rausgehen und draußen ists dann  Wasteland/Fallout-mässig) Eine Umsetzung der Geschichte des Computerspieles Cholo als Brettspiel. Oder ein Spiel, dass eine ähnliche Athmosphäre einfängt wie beim Computerspiel Limbo. Alles Traumziele, bei denen ich keine (oder nur sehr vage) Ahnung habe, wie man das konkret machen kann. Aber man braucht ja Ziele im Leben ;-)

Drückt mir die Daumen! :-)

ciao

peer

Peer Sylvester
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7 Kommentare

  • Nach der kurzen Diskussion auf Twitter dann hier nochmal ausführlicher :) Also die Idee eines Spiels zu Solidarnosc oder RAF finde ich sehr spannend. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Umsetzung aufgrund der Themen besonders schwer ist.

    In meiner Wahrnehmung ist bei Brettspielen mit historischen Bezügen das Thema oft nur aufgesetzt. Umso interessanter finde ich den Versuch, über ein Brett- oder Kartenspiele historische Entwicklungen oder Strukturen nachvollziehbar und damit verständlich zu machen. Wirklich gelungene Beispiele sind für mich hier WsdV und andere Spiele von histogame.

    Bei „Geschichtsspielen“ finden sich einige historische Aspekte bzw. Zugänge fast überall, andere gar nicht. Typisch ist das „Handeln“ mit Waren oder Gütern, der Aufbau einer (Wirtschafts-) Infrastruktur oder Krieg mit Taktik und Schlachten, die durch Truppenbewegungen, Würfel und/oder Karten simuliert werden. Dabei übernehmen die Spieler oft die Rolle eines Staates, einer historischen Figur (als Personifikation des Staates wie z.B. Friedrich der Große) oder eines Unternehmens.

    Spontan war mein Gedanke: Diese typischen Umsetzungen von Geschichtsspielen passen nicht zu den Themen RAF oder Solidarnosc. Weder „Staat“ vs. „RAF“ oder vs. „Solidarnosc“ scheint mir auf ein mögliches gutes Spielkonzept zu verweisen. Was hingegen historisch wie spielerisch sehr spannend sein kann, sind die Einzelbiographien, die sich hinter diesen Gruppen verbergen. Allerdings kenne ich kein Brett- oder Kartenspiel, das einen biographisch-erzählenden Ansatz verfolgt (Klassiker wie „Spiel des Lebens“ oder „Karriere“ mal ausgenommen, aber die sind in diesem Zusammenhang vermutlich nicht allzu hilfreich).

    Im Prinzip könnte das thematisch funktionieren wie ein historischer Roman zum Thema: Nach umfangreicher Recherche werden aufgrund verschiedener Biographien „typische“ Charaktere erfunden, um die Bedingungen und Entscheidung einzelner Menschen innerhalb eines gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmens nachzuzeichnen. Dabei hat jeder Charakter unterschiedliche Ausgangsvorausetzungen und Kenntnisse.

    Es ist nicht immer notwendig eine vollständige Biographie in den Blick zu nehmen, es reicht sich auf einen Aspekt, einen bestimmten Lebensabschnitt zu konzentrieren. Das macht die Umsetzung in ein Spiel vermutlich auch erst möglich. Der spannende Unterschied eines Spiels zum Roman ist: Das Ende ist offen und kann unterschiedlich ausfallen und es gibt mehrere Spieler bzw. Charaktere, die auch miteinander interagieren und deren (Spiel-) Entscheidungen den Spielverlauf verändern.

    Völlig unausgegoren denke ich, dass für die Themen die Erfindung eines neuen Geschichtsspielgenre oder zumindest -mechanismus notwendig wäre. Inspirationen, die neu kombiniert und weiterentwickelt werden, könnte man sich dafür vielleicht aus semikooperativen Rollenspiel bzw. interaktiven Entscheidungsromanen, Scotland Yard (Notwendigkeit des Untertauchens, Versteckens) und eventuell sogar aus „Spiel des Lebens“ holen.

    Einen ersten Ansatz für eine mögliche Umsetzung bekommt man vermutlich, wenn man zumindest mal grob vorab sagen könnte, worin das Spielziel besteht und wann ein Spieler gewonnen haben könnte.

  • Danke für die Ausführungen. Tatsächlich ist Solidanosc auch deswegen ein schwieriges Thema, weil „Streik“ ein Thema ist, dass sich nur schwer umsetzenb lässt. Daher finde ich die Idee mit den Biographien nichtr schlecht – meistens sind Biographien im Spiel ja auf Werte und Sondereigenschaften „á la Mao tse Tunf bringt +2 bei Überzeugen. Ein spielerischerer Ansatz á la Rollenspiel wäre interessant.

  • Das kann ich mir vorstellen, dass „Streik“ schwer umsetzbar ist. Vielleicht hängt es aber auch von der Perspektive ab: „Streik“ als politisches Mittel mit seinen möglichen Auswirkungen ist sicher schwer auf das Spielbrett zu bringen. Denkt man das Spiel eher als biographisch orientiertes Rollenspiel, wäre es weniger die wirtschaftlichen und politischen Aspekte von Streik, sondern die individuelle Entscheidung daran teilzunehmen oder nicht und die dann möglicherweise drohenden Konsequenzen (Verfolgung durch die Staatsgewalt, Jobverlust, Untertauchen, Verhaftung etc.) abzubilden. Beide Themenideen sind übrigens aus dieser Perspektive betrachtet strukturell recht ähnlich: eine Gruppe von Menschen entscheidet sich gegen das politische und wirtschaftliche System in einem Staat bzw. gegen diesen Staat selbst zu kämpfen – allerdings mit unterschiedlichen Mitteln und in BRD und Polen in sehr unterschiedlichen Systemen.

  • Schaut mal für echt gute Geschichtsspiele auch Twilight Struggle oder 1960: Making of a President an. Deren kartenbasierte Strategie zum Zwecke der Gebietskontrolle lässt sich gut für alle Szenarien verwenden, die irgendwie verschiedene Einflussgruppen vorsehen. Ebenfalls immer wieder interessant sind semi-kooperative Spiele, in denen zwar nur einer gewinnen, aber unter Umständen alle verlieren können (etwa „Churchill“).

    Das Thema RAF ist für Brettspiele problematisch. Du willst eigentlich nicht einen Spieler die RAF übernehmen lassen, was die Spieler effektiv in die Rolle der Gegner zwingt, was unter Umständen auch nicht das ist, worauf du rauswillst. Ich sehe da spontan keine Möglichkeiten.

    Solidarnocs dagegen ist möglich. Ich kann es mir sowohl als kooperatives Spiel vorstellen als auch als kompetetives. Wichtig wäre in beiden Fällen, die jeweiligen Zwänge darzustellen, unter denen beide Seiten leiden. So könnte Solidarnosc eine Art „Interventions-Meter“ haben, das im schlimmsten Falle mit einer chinesischen Lösung endet und das ihn das Spiel verlieren lässt. Für die Kommunisten wäre dieses dann so etwas wie ein „Unruhen-Meter“, denn auch sie verlieren effektiv, wenn die Kontrolle nur durch massive Gewalt herzustellen ist. Beide müssten dann schauen, dass der Konflikt eingehegt bleibt, während sie ihre Ziele verfolgen („Freiheits-Meter“ vs. „Kontroll-Meter“ oder so was).

  • Die Spiele kenne ich natürlich – auch wenn ich 1989 nie gespielt habe, um unvorbelastet Wir sind das Volk zu erfinden.
    Allerdings glaube ich nicht „One size fits them all“.