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Heute in der Wiederholung: Neue Spiele

Synes Ernst hat neulich einen schönen Artikel geschrieben, in dem den Kult um das Neue etwas relativierte und deutlich gemacht hat, das Innovationen eher selten sind. Und auch wenn ich da in der Aufzählung einige heutige Standards wie Caylus (Worker-Placement) und Dominion (Deckbuilding) vermisse die Innovativ genug waren, dass sie eine eigene Spielgruppe begründet haben, so ist seine Kernaussage die richtige. Innovativ sein ist vor solch einem Hintergrund kaum möglich und der Wunsch, dass ein Spiel selbiges ist, eigentlich von Vorne weg zum Scheitern verurteilt. Aber Innovativ kann in vielen Fällen nur noch die Komposition sein. So wie es Spitzenköchen gelingt aus denselben Zutaten, die ich im Supermarkt kaufe, ein Gericht zuzubereiten, das mir im Leben nicht gelingen würde, so schaffen es einige Autoren aus den vorhandenen Mechanismen dennoch Variationen zu basteln die genial sind. Variationen auf die ich Hunger bekomme.

Wer ein Kind hat, wird mit ein paar Interessanten Fakt vertraut gemacht. Neugeborene ernähren sich die ersten Monate nur von Muttermilch. Nach 4 bis 6 Monaten kommt der erste Brei und der Stand des Wissens sagt, das dies in den ersten Wochen auch bitte jeden Tag dasselbe sein soll. Variationen in der Ernährung sind da gar nicht wichtig. In meiner Kindheit hätte ich jeden Tag dasselbe essen können, zumindest bis ich mit 10 Jahren die Serie Ravioli gesehen habe, in der es nur Ravioli zu essen gab und den Kindern das recht bald zum Halse raus hing. Irgendwann ändert sich der Mensch und er will nicht immer das Gleich essen, sondern will Abwechslung. Er entdeckt die Geschmacksknospen in seinem Mund so wie Rémy in Ratatouille und will neues kennenlernen und verbinden. Andere bekommen nie diese Chance und sind zufrieden mit dem was sie essen.

Ein weiteres Beispiel ist die berühmte Sesamstraßenfolge in der James Earl Jones das Alphabet vorliest. Zuerst wird der Buchstabe eingeblendet, dann liest er ihn vor. Wenn die Kinder das das erste mal sehen sprechen sie es nach. Nach ein paar weiteren Betrachtungen sprechen sie es gleichzeitig und ab einem gewissen Punkt sagen sie es sogar bevor es vorgelesen wird. Die Wiederholung ist im Lernprozess tief verankert. Diesen Effekt hat zur Entwicklung der Fernsehsendung Blau und Schlau geführt. Nach demselben Muster geht es in jeder Sendung darum, dass ein Rätsel gelöst werden muss und die Kinder da helfen sollen. Damit die Kinder einen Lernprozess haben, wird dieselbe Folge jeden Tag wiederholt. Von Montag bis Freitag. Eine neue Folge gibt es erst am Montag dadrauf. Als Erwachsener würden wir nie freiwillig solch eine Sendung mehr als einmal ansehen, auch wenn ich zu den Leuten gehöre die tatsächlich Rocky Horror Picture Show über 100 mal gesehen haben (und ein paar andere Filme meiner Jugend), so reicht es mir heute oft jeden Film nur einmal zu sehen und dann zum konsumieren lieber zum nächsten Film zu greifen.

Und ich rede hier bestimmt nicht von wenigen Menschen, für die es nur ein Spiel gibt. Sie spielen 1000 Mal Catan und nur Catan, weil sie davon nicht genug bekommen können. Oder sie müssen erneut Carcassonne auf den Tisch bringen und nur Carcassonne. Oder eine weitere Runde Kniffel mit Freunden in der Kneipe, und nur Kniffel. Daran ist nicht verkehrt und ich gönne jedem sein Glück, solange er Spaß hat. Aber irgendwann kommt man auf den Geschmack. So wie Rémy habe ich Kompositionen von Mechaniken gesehen. Ich habe erlebt wie dabei etwas neues ersteht und wie mein Gehirn dabei platzte, weil es vor Freude aus dem Staunen nicht mehr raus kam. Und auch wenn ich viele Spiele gerne sehr oft Spiele, irgendwann will ich was Neues ausprobieren. Ich will neue Mechanikknospen in meinem Gehirn aktiviert sehen. Ich möchte sehen wie sich die Kombination spielt, von der alle so reden. Und dafür gibt es dann auch gerne einmal die Woche auch bekannte Kost die immer noch lecker schmeckt, auch wenn ich sie schon seit 20 Jahren spiele, wie Linie 1.

Der goldene Kuh-Reigen in Essen steht vor der Tür und in fünf Wochen ist eine nicht gerade kleine Menge Menschen bereit sich wieder auf die Neuheiten zu stürzen. Neuheiten die selten Innovativ sind und oft einfach nur spannend kombiniert sind. Neuheiten die nicht jeden überzeugen, weil er kein Worker-Placement-Schnitzel mag, sondern lieber zum Partyspiel-Brokkoli greift. Das ist legitim. Aber Edelrestaurant- und Fast-Food-Kritiker wie wir von der schreibenden Zunft wollen so viele Geschmacksrichtungen wie möglich essen. Es gibt keinen Grund das zu lassen. Wer weiterhin nur Muttis Eintopf essen möchte, der darf das! Aber wer uns nach einem Tipp fragt, wird was anderes hören. Wir brauchen neue Spiele.

Matthias Nagy
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