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Aufarbeitung des letzten Wochenendes

Ja, meine Kinder, die Münze hatte gelogen: Broom Service ist doch das Kennerspiel des Jahres geworden! Wenn jemand eine Münze kennt oder besitzt, die bessere Wahrsagefähigkeiten hat oder zu haben glaubt, kann er sie mir gerne zukommen lassen!

Die andere Vorhersage ist eingetroffen und Colt Express ist Spiel des Jahres geworden. Insofern trifft meine Vorhersage zu und die Jury setzt auf Emotionen – und in diesem Fall sogar bei beiden Preisen! Ist das eine gute Entwicklung? Kaum zu beantworten, denn es ist ja erstmal nur eine Momentaufnahme – mal sehen ob sich der Trend fortsetzt. Wäre es denn eine gute Entwicklung? Ich bin da unsicher. Emotionen am Spieltisch sind sicherlich nicht das Schlechteste, denn es geht ja um Spaß und und Emotionen machen ja auch lust auf mehr. Mit Emotionen lockt man Leute zum spielen. Aber wird das Kulturgut damitr automatisch gefördert? Keine Ahnung. Die lustigsten Spiele, die ich dieses Jahr zum ersten Mal gespielt habe, waren wohl Witness und Loony Quest. Beide sind auch hochoriginell. Aber gerade deswegen sind beide auch nicht gerade repräsentativ für Brettspiele. Beide würde ich nicht unbedingt heranziehen, wenn ich jemanden zeigen möchte, welchen Sprung Brettspiele in den letzten 30 Jahren gemacht haben. Beide sind keine Argumente dafür, dass Brettspiele seriöser Freizeitspaß für Erwachsene (statt Kinderkram) sind. Da hätte ich eher klassischere Kost verwendet, etwa Evolution von Schmidt Spiele oder Origin von Matagot.  Mal abwarten wie es weitergeht.

(Was die Gewaltdebatte betrifft, bin ich da der Meinung, dass die „Gewalt“ in Colt Express so abstrahiert ist, dass sie gar nicht als solche wahrgenommen wird. Das ist derselbe Level wie bei Piratenspielen á la Black Fleet oder dem Räuber aus Catan, der sich seine Rohstoffe ja sicherlich auch nicht friedlich holt.  Gewalt ist aber ein Problem wenn sie verherrlich wird. Das ist hier imho nicht der Fall. In Andor wird mehr gekämpft. Und in Stratego sowieso. Dass sind zwar keine SdJs, aber als Benchmark vielleicht dennoch zu gebrauchen)

Ansonsten war letzte Woche die Berlin Con: Hunter & Cron haben bei Fussballweltmeisterlichen Temperaturen zum Spielen geladen. Das ist insofern interessant, weil es eine Berliner Eigenart aufgreift: Es gibt sehr viele Spieler in Berlin – und fast ebenso viele Spielertreffen. Historisch bedingt hat Berlin keinen  „echten“ Stadtkern und genauso dezentralisiert ist die Vielspielerszene: Zahlreiche Treffen privater und öffentlicher Natur, aber wenig Durchmischung. Aus diesem Potential versuchten die Organisatoren zu schöpfen und natürlich ist der Zeitpunkt gut gewählt – direkt vor dem Spiel des Jahres, ist die Hoffnung groß, dass Verlage, Autoren und andere VIPs einfach ein bisschen früher nach Berlin kommen und die Con besuchen. Ganz hat das noch nicht geklappt, aber das Potential war da. Die Con war trotz 37° recht gut besucht, die Laufkundschaft hätte aber größer ausfallen können. Organisatorisch war vieles richtig: Catering war gut, die Spieleausleihe war üppig, die Location nicht schlecht und mit einigen Turnieren konnte auch gelockt werden. Ich bin mal gespannt, wie es mit der Veranstaltung weitergeht! Ein echtes Con kann Berlin gut gebrauchen…

Gespielt habe ich auch und zwar primär einen Prototypen von mir, den ich einem Verlag vorgestellt habe (und der vom Redakteur mitgenommen wurde). Danach war aber noch mehr, hier ein paar Ersteindrücke:

Loony Quest habe ich ja oben bereits erwähnt: Man malt mit einem Stift auf Zeit auf eine Folie, mit dem Ziel auf einem Bild bestimmte Dinge zu treffen und andere nicht. Das ist sehr intuitiv, lustig und kurzweilig. Das einzige Ding ist, dass man kaum Aufholchancen hat, wenn man sich mal richtig vermalt hat, da die Punkteabstände sonst eher eng sind. Aber hier gehts eh nicht ums gewinnen.

Alle Spieler von Deus (inklusive dem Besitzer des Spieles) waren sich einig: Das Spiel ist gut, jeder würde noch mal mitspielen- aber keiner würde es nochmal vorschlagen geschweige denn kaufen. Das Spiel ist sauber konstruiert und bietet einen originellen Mechanismus, aber die Seele fehlt. Man konstruiert und baut so vor sich hin, aber richtig packend ist das Geschehen nicht – zu wenig ist man involviert. Mir persönlich ist das Spiel auch 1-2 Runden zu lang, denn gegen Ende werden die Kettenzüge etwas arg lang. Außerdem habe ich das Gefühl, dass ich vor jeder Aktion erst einmal 3 Formulare ausfüllen muss; wenn man selbst beim Abwerfen auf passende Kartenfarben achten muss, fehlt mir das Direkte (Ich hab schon mal gesagt: Ich bin simpel gestrickt: Wenn ich etwas machen möchte, möchte ich es JETZT machen und nicht erst x Bedingungen erfüllen, bevor ich meinen Stein auf ein Feld stellen darf).

Guns & Steel ist (Trommelwirbel!) eine Art Civi Light mit Karten. Jawohl! Und einem Mechanismus, der an Master Merchant erinnert: Jede Karte ist Doppelseitig und zeigt einen Rohstoff auf der einen und einen Effekt auf der anderen Seite. Die Rohstoffe werden in erster Linie zum Kauf neuer Karten benutzt und dann umgedreht (ohne dass der Effekt gelöst wird). Zwei Karten muss man in seinem Zug spielen und wenn man die Hand leer hat, nimmt man alle Nicht-Rohstoffe auf. Das erfordert einiges an Handmanagment, denn einige Karteneffekte wirken nur, wenn sie offen ausliegen – und so möchte man nicht immer alles aufnehmen müssen. Das Kaufen der Karten bringt Siegpunkte, außerdem können noch Wunder erworben werden, wenn bestimmte Kartenkombis ausliegen (da ists wieder). Schön verzwickt, aber der Titel kommt nicht von ungefähr: Militär ist recht stark und gegen Ende kann es sehr „swingy“ werden – je nachdem wer wann welche Militärkarten aufs Brett bekommt. Das erinnert mich an eine Art verkürztes und herunterdestilliertes Innovation. Und auch das man es wohl nicht unbedingt zu viert spielen sollte (ein Spieler war recht schnell faktisch chancenlos, außerdem verteilen sich die Karten dann auf zu viele Spieler, so dass das Rohstoffsammeln am Ende zu lange dauert) passt zu dieser Beschreibung. So ist das Spiel definitiv unperfekt, aber auch definitiv interessanter als Deus.

Nicht auf der Berlin Con gespielt, aber durchaus letzte Woche habe ich Brew Crafters und mir tut es jetzt schon fast leid, dass ich Deus als „seelenlos“ bezeichnet habe, denn gegenüber Brew Crafters ist Deus das reinste Partyspiel. In erster Linie wird hier Ressourcenmanagement beschrieben und das im absoluten Mikro-Bereich: 4 graue Würfel nehmen. Dann 1 grünen und einen gelben nehmen. Mit dem Bonus bekommt man einen roten dazu. Dann alles wieder abgeben und man hat ein Bier gebraut. Und dann werden die nächsten Ressourcen gesammelt. Das Spiel ist ein gutes Beispiel dafür, dass man mit ein paar Standardmechanismen (Worker Placement, Aufträge erfüllen) so ziemlich jedes Thema (hier: Bier brauen) irgendwie adäquat umsetzen kann (obwohl ich mir denke, dass Ressourcenmanagement nicht das größte Problem bei der Betreibung einer Brauerei sein dürfte) ohne dass das Spiel irgendwelche Macken hätte. Eigentlich funktioniert alles, wie es soll. Es macht nur keinen Spaß. Dazu ist es zu kleinschrittig, zu wenig aufregend und zu vorherbestimmt. Vielleicht muss man Bier fan sein, um den Charme des Spieles zu erkennen und da bin ich dann raus… Meine Mitspieler mochten es aber auch allesamt nicht – so viel Einigkeit am Spieltisch war selten.

ciao

peer

P.S.: Ich habe meinen Spieleflohmarkt aktualisiert – Schaut mal rein!

Peer Sylvester
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1 Kommentar

  • […] (Im Sinne von: Man sieht zu wenig neues). Andererseits bietet es Emotionen und das ist etwas, was bei der Jury ja gut ankommt. Insofern würde ich es nicht abschreiben wollen. Agent Undercover hat zum einen eine ziemlich […]