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Frühjahrsputz

Es gab mal einen Hobby-Laden in Berlin, der hieß Serious Games. Ich verbinde einige Erinnerungen mit dem Laden. Ich habe dort über ein Jahr lang die Brettspielrunde jeden Mittwoch geleitet und zum Teil dadurch bis zu 20 Kunden im Laden versammelt und unterhalten. Ich habe auf diese Weise meine heutige Frau kennengelernt und ich habe das Leben des Ladens vom ersten bis zum letzten Tag mitverfolgt. Auch als der Laden entschied Brettspiele nicht mehr zu führen und den gesamten Bereich einstellte ohne mir zu sagen, dass sie meine Dienste nicht mehr brauchen, verfolgte ich, was der Laden weitermachte. Die Brettspielgruppe hatte ich in mein Heim verlegt und seit damals habe ich jeden Mittwoch einen offenen Brettspielabend bei mir zu Hause. Seit inzwischen 18 Jahren.

Einer der Eigentümer war Axel Hollmann. Ich kannte ihn noch von Zeiten, als ich in einem Rollenspielverein war, in dem er auch war. Er wollte halt einen Rollenspielladen aufmachen und tat dies mit einem Freund. Die 90er waren andere Zeiten. Der Laden ist zu und seine Interessen woanders. Inzwischen ist er u.a. Schriftsteller und blogt und podcastet mit seinem Freund Marcus Johanus als Die Schreibdilettanten. Er schrieb neulich auf Facebook einen Beitrag, der bei einigen seiner Facebook-Freunde nur Kopfschütteln verursacht hat: „Nach langem Zögern habe ich heute meine Bücherregale ausgemistet und ca. 80% meines Buchbestandes der Papiermülltonne anvertraut.“ Es ging nicht darum, dass er die Bücher nicht mochte, aber sie waren Ballast für ihn. Er hatte die meisten davon als eBook, so dass er die Geschichten nicht verloren hatte, aber das Papier war für ihn keine Freude mehr. Nach der Entsorgung fühlte er sich besser. Auf die Frage: Warum er sie nicht verschenkt?, erzählte er von seiner Erfahrung, dass der Versuch Bücher zu verschenken zu großer Ablehnung geführt hatte. Die meisten wollen vieles geschenkt haben, aber eben keine Bücher. Und selber Zeit und Geld in die Hand zu nehmen, nur um Bücher zu verschenken, steht oft nicht in einem sinnvollen Verhältnis. Zeit ist für ihn derzeit eine wichtigere Ressource als Geld. Und die Bücher sind endlich weg.

Ich kann das nur zu gut nachvollziehen und habe mich selber schon vor Ewigkeiten gedanklich davon getrennt, mir Bücher, CDs oder DVDs anzuschaffen. Was ich habe ist meist im Computer digitalisiert und das Physische wird stückweise entsorgt. Wobei ich froh bin Freunde zu haben, die das zum Teil für mich machen, denn ich selber habe oft auch nicht die Zeit dafür. Das einzige physische was ich mir noch anschaffe, sind Gesellschaftsspiele. Aber ich sammle diese nicht. Sie sammeln sich hier halt an. Sie sammeln sich so sehr an, dass es günstiger war, die letzten drei Mal umzuziehen, als sich von den Spielen zu trennen. Das ist aber irgendwann keine Option mehr. Ich will auch kein Spielesammler sein. Ein paar behalte ich sicher aus sentimentalen Gründen, bei anderen weiß ich, dass sie immer auf dem Tisch landen werden, aber die größere Hälfte kann einfach weg. Und genau das passiert jetzt. Eine Art Frühjahrsputz. Ziel für dieses Jahr: Mehr Spiele sollen meinen Haushalt verlassen, als neu reinkommen. Im Dezember wird geschaut, wie es gelaufen ist. Bisher habe ich einen guten Schnitt, aber Essen kann im Oktober das alles zunichte machen.

Christian Witter, der Betreiber des Unknowns.de-Forums, ist da rigoroser. Er gehört zu den Glaubensbrüdern, die sich lieber von einem ungespielten Spiel wieder trennen, als es sinnlos lange zu Hause rumstehen zu haben. Falls das Interesse wieder aufkommt, wird es im Notfall wieder gekauft. Er fühlt sich von der Spielemasse befreit und da er dennoch rund 100 Spiele zu Hause hat, hat er auch genug Abwechslung auf dem Spieletisch. 100 Spiele sind nicht mein Ziel, aber weniger als jetzt wären es schon. Vielleicht schaffe ich es unter die 1.000. Georg von Hans im Glück hatte mir letztes Jahr bei einem Interview für ein Bretterwisser Spezial erzählt, dass er einfach mal eine Party geworfen hat und jeder Gast musste ein Spiel mitnehmen. Die Spiele sollten ja gespielt werden. Wenn er es nicht schafft, dann vielleicht jemand anders. Seitdem ist seine Spielsammlung unter 300 Spiele gefallen. Wie so oft geht es nicht um Geld, sondern um Zeit. Oft auch eine gute Zeit mit Freunden.

Als die Spiel Doch! angekündigt wurde, waren die Reaktionen darauf nicht wie üblich. Ist die Zeitschrift sinnvoll oder wird die anvisierte Zielgruppe erreicht? Hier wurde diskutiert, ob Print eigentlich noch zeitgemäß ist, oder eigentlich tot? Ich weiß, dass ich mich von den meisten Zeitungen und Zeitschriften inzwischen getrennt habe. Ich habe noch meine gesamten Spielbox-Hefte der letzten 18 Jahre und die Fairplay, die Pöppel-Revue und Spielerei-Ausgaben und all die anderen Spielezeitschriften. Aber brauche ich die noch? Die meisten liegen hier rum und sammeln Staub. Ich habe die Spielbox inzwischen im digitalen und gedruckten Abo. Das digitale reicht, um einen Eindruck zu bekommen, was gerade geschrieben wird und das gedruckte Exemplar wird dann an einem günstigen Wochenende später gelesen. Bei anderen Zeitschriften würde ich mir das auch wünschen. Wenn ich eine Komplettsammlung aller Fairplays in digital bekommen könnte, würde ich die gedruckten aussortieren. Aber ob ich das je erleben werde, glaube ich nicht. Vielleicht werfe ich die gedruckten dennoch irgendwann weg.

Natürlich gibt es auch Bücher und Zeitschriften, die ich nicht wegwerfen werde. Ganz vorne meine ganzen Solo-Abenteuer-Bücher, wie der Einsame Wolf. Aber es macht einen Unterschied ob dies 1000 oder nur 100 sind.

Vielleicht wollt ihr die schöne Frühlingszeit auch nutzen, um bei euch auszumisten. Sei es bei uns Spielern von Spieleballast der zu Hause rumliegt und nie mehr den Deckel geöffnet bekommt, oder bei Autoren von Mechaniken, die dem Spiel nicht gut tun. Es kann sehr befreiend wirken.

Matthias Nagy
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5 Kommentare

  • Na, wie passend. Wir haben gerade einige hundert Spiele aussortiert, die wir gerne abgeben möchten. Ich mache bald mal ein paar Photos…
    Und ja, ich hätte gerne alle (alten) Ausgaben von Spielezeitschriften digital – dann wäre meine Bibliothek immer in der Hosentasche – öfter reinschauen würde ich dann zwar nicht, würde sich aber trotzdem cool anfühlen. Letztlich habe ich sogar noch eine alte Spielerei-Ausgabe nachgekauft, die beim Umzug als fehlend erkannt wurde.

  • Hallo!

    Bei uns im Haus (habe ich auch schon in anderen Häusern gesehen) werden oft Bücher im Hausflur (Fensterbank) abgelegt. Die kann sich dann irgendwer aus dem Haus (oder Besuch) mitnehmen. So finden die Bücher noch sinnvoll und ohne Aufwand Abnehmer.
    Im Prenzlauer Berg hatte ich vor einem Lokal auch mal einen „Tauschbaum“ gesehen: dort gab es verschiedene Vertiefungen mit einer Klappe davor, in denen Bücher und CDs schlummerten. Auch das wurde ausgiebig in Anspruch genommen.

    Finde ich beides eine sehr gute Idee.

    Viele Grüße
    Bernd

  • Bücher spende ich grundsätzlich, wenn ich sie nicht mehr haben will (besonders gute bewahre ich auf). Bei Spielen biete ich die meinen Freunden an, manchmal schreibe ich eine Kleinanzeige. Ich versuche die Anzahl nach dem „One in one out“ einigermaßen konstant zu halten, auch wenns im Moment mehr (2 in, 1 out) ist ;-)
    Spiele, die keiner will, spende ich aber auch schon mal (entweder an den Behindertenladen um die Ecke oder einer Schule).
    Ich habe mal ein paar Fotos von Spielen bei Twitter eingestellt ;-)
    @Jürgen: Wirds auch ne Liste geben (hier unter Spieleverkauf)?

  • Ich habe gar nicht so viele Spiele, versuche, dass sich die Sammlung bei rund 100 großen Schachteln (plus kleine Spiele) einpendelt, und zwar nur solche, die ich auch privat jederzeit spielen würde, obwohl das ja auch nicht wirklich passiert…
    Spiele loszuwerden, finde ich sogar ziemlich schwierig: Die, die ich selbst nicht haben möchte, wollen meine Bekannten idR auch nicht. Beim Verkauf steht der Ertrag eigentlich in keinem Verhältnis zum Aufwand. Die Zeit habe ich im Moment nicht.
    Was in Toronto gut klappt: Hochwertige deutsche Spiele an die deutsche Schule geben und den Rest in gemeinnützige „Thrift Stores“. Da findet die irgendwann mal ein Sammler und bekommt sie günstig und die paar Märker gehen an einen guten Zweck.

  • Manchmal einfach die Kleinteile eines Spiels in eine Schachtel reinschütten. Für Kinder ist so eine Schachtel wie eine Goldschatz … und für einen Spielerfinder eine praktische (Inspirations)quelle.

    Johannes