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They blinded me with Science!

Darf man eine Woche vor der Messe über etwas anderes schreiben, als über die Messe? Ich hoffe doch, denn da sich drei der letzten vier Artikel mit der Messe beschäftigen, will ich mal über etwas anderes reden… Messepreviews gibt es eh genug.

Ich hatte letzte Woche „The New Science“ in der Hand (aber das Spiel kam nicht zum Vollzug) und da ist mir aufgegangen, dass Wissenschaft in Spielen meistens völlig falsch dargestellt wird. Und leider scheint The new Science keine Ausnahme darzustellen…

Wissenschaft ist selten  das Thema (da fallen mir nur eine Handvoll Spiele ein), aber doch sehr oft Teil der Spiele – in vielen Spielen kaufen die Spieler sich Vorteile in Form neuer Technologien. Und die umfassen Erfindungen (wie das Rad) genauso wie Wissenschaftliche Errungenschaften (Mathematik, Chemie oder auch mal spezielleres wie das Heliozentrische Weltbild oder Algebra). Nun mag es für Erfindungen noch angehen, dass man sie sich aussucht (ein Erfinder macht sich eben daran das Problem zu lösen, wie man mit viereckigen Steinen einen Wagen betreibt), aber bei wissenschaftlichen Erkenntnissen, weiss man eben nicht vorher, was herauskommt. Geschweige denn, was es einen für Vorteile bringt (Das Internet wurde ja auch nicht erfunden, damit jemand endlich einmal eine Übersicht hat, welche Spiele in Essen herauskommen. Obwohl… Wer weiß?)

In manchen Spielen steht die Forschung dann noch mehr im Mittelpunkt (wie in New Science) und meistens in der Form, dass man quasi Auftragskarten bearbeitet. So in der Art: Zwei Bunsenbrenner und drei Reagenzgläser und dann hat man einen Kunststoff erfunden und bekommt +3 auf Umweltverschmutzung (oder was auch immer).

Das ist aber absoluter Blödsinn. So funktioniert Wissenschaft in der Regel nicht. Was diese Spiele falsch machen: Man weiß eben nicht, was hinterher rauskommt. Man weiß nicht wozu es gut sein wird. Das ist in der Realität auch gar nicht das Ziel… aber auch in einem Spiel muss man nicht unbedingt wissen, was man bekommt.

In einer guten Umsetzung würde man in einem speziellen Bereich forschen (etwa Metallbearbeitung oder Waffentechnik oder was auch immer) und man wüsste in etwa was man erwarten kann – aber eben nicht genau. Man wüsste in etwa, was man brauchen kann – aber eben nicht genau. Das ist natürlich schwieriger hinzubekommen, inbesondere wenn das Spiel kein reinen Glücksspiel sein soll. Es wäre aber deutlich thematischer und eventuell auch interessanter. Sicherlich muss nicht jedes Spiel 100% thematisch sein – aber es wäre schon schön, wenn ab und an auch die Wissenschaft mal halbwegs realistisch rüberkommt. Und neue Mechanismen können die Spielewelt nur bereichern.

ciao

peer

P.S. Was ich an The new Science absolut albern finde -aber das ist eine spezielle Sache, daher nur nebenbei – ist dass eines der Ziele die „Phlogiston-Theorie“ ist. Das war eine falsche Theorie, die das echte Verständnis für den Verbrennungsvorgang jahrelang behindert (ich möchte fast sagen „zurückgeworfen“) hat. Das möchte man nicht erfinden. Es war keine notwendige Zwischenstufe, zum großen Verständnis. Der einzige Grund, warum es drin ist, ist wohl damit die berühmtesten Theorien alle vorkommen. Aber das ist so, als würde ein Wargame den Unterlegenden Siegpunkte geben, dafür dass sie bestimmte Schlachten verlieren (z.B. Agrincourt), nur weil das eben so gelaufen ist, nicht weil es dafür irgendeinen spielerischen Grund gibt. Das ist „Geschichte mit dem Holzhammer“ – und kein Thema.

 

Peer Sylvester
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3 Kommentare

  • Danke! Absolut auf den Punkt! Ich hätte da schon eine Idee …

    Aber im Ernst: Es wäre klasse, wenn man hier und dort forschen würde und es könnten eben verschiedene Sachen rauskommen – mal auch verstärkt waffentaugliches, nach dem Motto: „ups, so konfrontativ wollte ich gar nicht spielen, aber ich habe da was, da STÜRZT sich das Militär drauf“.

    Eine andere Sache (vielleicht auch mal ein Impuls für dich, Peer) ist, dass wir ja im Westen dieser unfassbar idiotischen linear-Entwicklung treu ergeben sind. Wenn das „Wachstum“ mal nur 1,3 statt 1,9 Prozent beträgt, schreien alle auf. Längst wissen wir, dass das u.a. der Grund für die Über-Ausbeutung der natürlichen Ressourcen st, dass wir die jährlichen Ressourcen dieser Erde in immer kürzerer Zeit (sehr viel weniger als ein Jahr) verbrauchen … längst ist klar, dass wir dagegensteuern müssen!
    Und was machen Gesellschaftsspiele? Frönen brav dem Ziel: Wer schneller reicher wird, gewinnt. Wer mehr Wachstum, mehr Reichtum schafft, ist der Sieger. Ich habe lange über andere Siegbedingungen nachgedacht und über ein Ziel namens „Kreislauf etablieren“, aber noch nicht wirklich fündig geworden: Wer bei Spielende den bestmöglichen Kreislauf erzielt gewinnt. Das heißt, Städte (oder Länder), die miteinander verzahnt sind, versuchen, möglichst „stabil“ zu wirtschaften – auf einem gewissen Niveau, aber vor allem eben „gesund“, „klimaneutral“, „ausgeglichen“ – was auch immer. Sollte natürlich nicht „didaktisch zeigefingerig“ rüberkommen.
    Vielleicht gibt es auch andere Ansätze – oder gab es schon. „Antiquity“ mit seinen Totenköpfen auf jedem ausgebeuteten Feld gefällt mir u.a. genau deswegen so gut, weil es diesen Aspekt nicht ausklammert. Vielleicht gibt es auch abstrakte(re) Spiele mit ähnlichen Zielen oder geeigneten Mechanismen?

    Jedenfalls regen mich solche Diskussionen wie dein obiger Artikel zur Wissenschaft sehr an – danke dafür!

    Und wie du richtig sagst: Neue, spannende Mechanismen ergeben sich m.E. meist aus – Themen und der Abgleichung mit der Realität.

  • Zuerst eine kleine Ergänzung: Man weiß nicht nur nicht, was rauskommt, sondern i.A. auch nicht im Detail was man braucht, um dies zu erreichen…

    Ansonsten: Ja, das ist noch ein ganz anderes Thema – Bruno Faidutti schrieb neulich nicht zu Unrecht, dass die Eurogames thematisch fast immer vor 1920 stattfinden. Und das gilt nicht seltzen auch für die Werte. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass man dem Alltag entkommen möchte, aber auch da ist Luft nach oben. Es gibt durchaus solche Spiele (z.B. Terra, CO2 oder das neue Green Deal), aber wenig :-)

  • Na ja, ich finde diese Betrachtung der Wissenschaft nicht so unsinnig, denn im Prinzip funktioniert sie schon so. Es forscht kaum jemand einfach so ins blaue und schaut was dabei rauskommt. Die haben schon konkrete Vorstellungen und Ziele und forschen darauf hin. Natürlich gibt es dabei immer auch Abweichungen am Ende und natürlich lassen sich wissenschaftliche Ergebnisse eigentlich immer auch in verschiedenen anderen Bereichen anwenden.
    Um bei deinem Beispiel mit dem Umweltschutz +3 zu bleiben: das sind dann Abweichungen die daraus mal +3,2 oder +2,7 machen, wenn die überhaupt so groß werden. Und das ist nichts, was man in einem Brettspiel einbauen müsste.
    Wenn z.B. VW ein neues Modell entwickelt, dann haben die da schon sehr konkrete Vorstellungen davon, was sie am Ende haben wollen. Und das wird auch überwiegend erreicht. Sie haben aber auf keinen Fall am Ende ein Motorrad oder gar eine Kaffeemaschine, statt eines neuen VW-Modells.

    Ich habe eine zeitlang am HMI in Berlin gearbeitet und an Solarzellen geforscht. Das war Grundlagenforschung, wir hatten aber trotzdem sehr konkrete Ziele und haben auf diese hingeforscht. Auch wenn die angepeilten Wirkungsgrade meistens nicht ganz erreicht wurden, so waren das doch immer noch unsere Dünnschichtsolarzellen. Die Ziele werden schon überwiegend erreicht, nur der Aufwand (Geld, Zeit) wird meist nicht korrekt kalkuliert.