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Durchschnittlicher Durchschnitt

Irgendwo habe ich das Zitat aufgeschnappt: „Der Kandidat versprach allen ein überdurchschnittliches Einkommen. Niemand lachte.“ (7 Siegpunkte für den ersten, der mir die Quelle nennen kann).
Doch bei Spielen ist der Witz gar nicht so unrealistisch. Welche Note von 1-10 sollte ein durchschnittliches Spiel bekommen?

Sicherlich: Ein Luxusproblem. Richtig auch: Über Noten und deren Aussagekraft kann man streiten. Und es wurde auch schon oft getan. Ich will die Debatte an dieser Stelle gar nicht wiederholen. Manchmal verlangt das Medium, für das man schreibt nun einmal eine Bewertung. Oder  man möchte aus Übersichtlichkeitsgründen eine Note vergeben. Oder ähnlich anders.

Aber wenn das Spiel nun wirklich durchschnittlich ist? Klar, eine 5. Oder? Fest steht: Ein Spiel mit einer Geekwertung von 5 würde nicht als „durchschnittlich“ wahrgenommen werden, sondern als „eher schlecht“ . Warum eigentlich?

Der erste Einwand: Es gibt immer Leute, denen ein Spiel mehr gefällt und andere, denen es weniger gefällt. Bei einem Durchschnittsspiel sollten sich diese Aussagen die Waage halten. Allerdings bewerten Leute, die ein Spiel gut finden vielleicht eher ein Spiel, als die Gegner des jeweiligen Spieles. Dennoch finde ich es kommisch, dass eine ziemlich große Mehrheit  der Spiele eine Wertung zwischen 6 und 7 hat und damit „leicht überduchschntittlich).

Der zweite Eindwand ist diffizieler: Was heißt „Durchschnitt“ eigentlich? An welchem „Durchschnitt“ orientieren wir uns? An dem aller Spieler, die jemals erschienen sind? In diesem Fall dürften so ziemlich alle Autorenspiele, die bei größeren Verlagen erscheinen  überdurchschnittlich sein. Immerhin sind in der Vergangenheit schon einige Graupen erschienen, die heutzutage vermutlich nicht mehr vermarkbar wären. Und selbst wenn man sich auf alle aktuell irgendwo verfügbaren Spiele beschränkt, ist der Output der Verlage weit über dem Durchschnitt – Ich denke gerade an die ca. 10 verschiedenen  Gänsespiel-ähnlichen Bibelspiele, die ich in den Philippinen gefunden habe. Orientiert man sich also an allen Spielen, dürften die normalen Spiele, die für uns interessant sein, alle notentechnisch bei 9-10 einzuordnen sein. Eine solche Skala macht aber wenig Sinn, da sie für die Zielgruppe einer Rezension (und diese interessiert sich per Definition zumindest soweit für moderne Brettspiele, dass sie eine entsprechende Rezension liest) wenig aussagekraft hat. Unsereins interessiert sich ja nicht dafür, wie Spiel X in Bezug zu allen Spielen dieser Welt abschneidet, sondern wie es in Bezug zu den anderen Spielen abschneidet, für die sich unsereins interessiert und die man sich leider nicht alle zulegen kann, weil Raum, Geld, Zeit und Mitspieler fehlen. Der Durchschnitt muss also bei den aktuellen Spielen der jeweiligen Zielgruppe gelegt werden. Das bedeutet leider auch, dass Noten veralten – der Durchschnitt ändert sich.

Warum aber sieht man verhältnismäßig wenig Fünfen? Ich sehe einen Grund tatsächlich bei oben genannten „ersten Einwand“ – man spielt eher Spiele, die einen überdurchschnittlichen Eindruck machen und daher bewertet man eher Spiele, die einen gefallen (weil man -mit etwas Glück – auch mehr Spiele spielt, die einem gefallen). Der zweite Grund ist psychologisch: Da es Fünfen selten gibt, wird eine Fünf fast schon als vernichtendes Urteil wahrgenommen. Wenn ein Spiel aber Durchschnitt ist, ist es eben nicht schlecht, hat womöglich gute Eigenschaften (nur eben auch ebenso viele Schattenseiten) und die möchte man nicht mit einem vermeidlich vernichtenden Urteil abspeisen.

Man sollte es aber, sonst kommt es zu einer Inflation von Sechsen, die defacto zwei Noten abdecken (5 und 6). Und wer weiß, vielleicht gewöhnen sich die Leser an die Fünfen und nehmen sie als das wahr, was sie sind: Eine Durchschnittsnote.

ciao

peer

Peer Sylvester
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2 Kommentare

  • Kleine Spitzfindigkeit:
    Nur auf einer Skala von 0 bis 10 ist 5 der exakte Durchschnitt.

    Daher sind Bewertungsskalen, die bei 1 beginnen, i. A. unsinnig.
    Beispiel: Warum soll man etwa überhaupt 1 Punkt vergeben, wenn nix geliefert worden ist?

  • Wenn man nicht professioneller Kritiker ist, trifft man eine Vorauswahl, man spielt nur Sachen, die einen grundsätzlich interessieren, deshalb sind überdurchschnittliche Bewertungen nicht verwunderlich.