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Spiele, die mich so richtig packen

Kürzlich ist mir nochmal klar geworden, wie selten es vorkommt, dass mich ein Spiel so richtig packt. Nicht, dass ich falsch verstanden werde, es gibt viele tolle Spiele von tollen Autoren und bei tollen Verlagen erschienen. Aber das, was ich meine ist dieses Gefühl des „gepackt sein vom Spiel“, des „nachts aufwachen und nachdenken über das Spiel“.
Was war geschehen? Peer hatte in seiner letzten Rezension Archipelago zwischen. Das erinnerte mich daran, dass dieses Spiel im letzten Jahr einer meiner ganz wenigen Blindkäufe auf der Messe war. Das Spielmaterial schaute reichhaltig und wunderschön aus. Leider gab es nur wenige Stimmen zum Spiel (selbst heute finde ich, dass es vergleichsweise wenige Rezensionen online gibt), und die waren eher zurückhaltender Natur. Dann hielten sich Gerüchte, dass das Regelwerk nicht so toll sein soll. (Auch im Gegensatz zu Peers Rezi – sorry Peer – muss ich jetzt feststellen, dass dem meiner Meinung nach nicht so ist)
Nun ja, ich habe damals meiner Gattin tief in die Augen geschaut, ein Tränchen rausgedrückt, und schwups, durfte ich das Spiel kaufen. Happiger Preis, aber egal. Dann lief das Spielejahr an und der Karton wurde von anderen Neuheiten in die zweite Reihe verdrängt. Bis zu Peers Rezi.

Die klang doch so reizvoll, dass ich das Spiel mal rausgeholt habe. Und jetzt stehe ich hier und kann nicht mehr loslassen.

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Zunächst: Ich habe mir das Spiel über die Regel erarbeitet. Und die ist exzellent. Nicht nur, dass der gesamte Ablauf schlüssig ist, die Struktur der Regel, die Formulierungen und die Dosierung der Beispiele ist hervorragend. Fragen bleiben keine offen und selbst falls doch, Antworten sind schnellstens zu finden. Die Regel transportiert bereits einen guten Anteil des Gefühls, welches später beim Spielen aufkommt.
Und dann kamen die ersten Partien. Und dieser „Awesome“-Effekt, der sonst nur bei Vorstellung von Apple-Produkten durch die Medien transportiert wird. Mir fällt es schwer, dieses Gefühl in Worte zu fassen. Das Spiel entwickelt sich auf dem Tisch und ich bin mit jeder Partie auf’s Neue gefangen. Und jede Partie war bislang völlig anders. Und doch ergab sich jeweils fast ein Simulationscharakter, der den Spielern das Gefühl gibt, dass da wirklich etwas abläuft. Das Spiel spielt sich wie ein hervorragender Roman, den man abends im Bett nicht mehr beiseite legen kann, und der einen morgens nur mit Ziehen in der Magengrube ins Büro fahren lässt, weil man das Buch nicht mitnehmen kann. Und was mir aufgefallen ist: Ich bin voll dabei, ich gebe alles, ich will gewinnen. Und doch ist mir das Ergebnis des Spiels völlig egal. Schon von der ersten Runde an. Ich bin mitten im Geschehen – und genieße einfach die Momente.
Und das ist das, was ich bei vielen Spielen vermisse. Ein Beispiel: Terra Mystica ist ein tolles Spiel. Vielleicht ein bisschen zu sehr gehyped, aber im Grunde fein austariert. Tolle Mechanismen. Aber leider kein Herzblut. Ich optimiere meinen Zug, vielleicht auch über mehrere Ebenen hinweg. Mehr aber auch nicht.

Und dann habe ich mal überlegt, bei welchen Spielen mir das vorher schon mal passiert ist. Und mir ist nur noch „Elisabeth I. – Virgin Queen“ eingefallen. Auch hier stellt sich bei mir immer dieses tolle Spielgefühl ein. Das dauert natürlich ein Vielfaches der Spieldauer von Archipelago. Aber eigentlich möchte ich doch nur Spiele spielen, die mich in dieser Art und Weise, hmm…, berühren. Ja, das Wort passt.
Darüber hinaus gibt es viele Spiele bei denen ich sofort mit dabei wäre: Hanabi, Die Burgen von Burgund, Rattus, Parthenon, und viele, viele andere mehr wären da zu nennen. Aber die Spitze bleibt Spielen wie Archipelago oder Elisabeth I. vorbehalten.

Bei welchen Spielen geht es Ihnen ähnlich? Und warum?

Jürgen Karla

4 Kommentare

  • Descent packt mich ähnlich und zwar in allen Variationen. Vielleicht liegt es doch daran, dass ein transportiertes Thema eben doch irgendwie eine emotionalere Bindung erzeugt als ein abstrakter Kernmechanismus.

  • Hallo Jürgen,

    Danke für den Artikel. Archipelago harrt bei mir immer noch der Mitspieler, die solche kommunikativen Spiele mögen. ;-)

    Bleiben wir bei Gefühlen und dem Siedeln: Entdecker und Piraten

    Eine Erweiterung, die ein altes Spiel jung macht. Alte Probleme wurden behoben, neue Aufgaben gestellt. Jede Partie war trotz 90-120 min kurzweilig – zu schnell vorüber.
    Tja – trotz einer Konkurrenz von mehreren hundert Titeln gegenwärtig am bewegensten – und gemeint sind nicht nur die neuen Schiffe. ;-)

    Liebe Grüße
    Nils

  • Hallo,

    ein toller Beitrag! Ich unterschreibe jedes Wort und find es klasse, wenn hier ganz viele Beispiele genannt werden.

    Die Spiele, die mich in den Bann ziehen und emotional vollkommen einnehmen, sind:

    – Here I Stand (Virgin Queen habe ich noch nicht gespielt)
    – Archipelago (ich habe hier das gleiche Gefühl wie du)
    – Ringkrieg (insbesondere im Spiel zu viert)
    – Civilization (das alte – allerdings ist es schon ein paar Jahre her…)
    – Go (solange ich es gespielt habe; das Gefühl hat nachgelassen, als es von vielen für meinen Geschmack zu kompetetiv gespielt wurde)
    – Antiquity

    LG,

    Torben

  • Hi Jürgen,

    Ich kenne das. Das ist der Grund wieso ich CoSims (oder Historische Simulationen sage ich) sehr mag. Meine „Wow“-Effekt Spiele:

    – Europe Engulfed (2003)
    – No Retreat! (2011) (Deluxe, gab es 2008 in einer normalen Ausgabe die ich nicht kenne)
    – Zeitalter der Renaissance (1999)
    – Twilight Struggle (2009)
    – Virgin Queen (oder wie Jürgen sagt: Elisabeth I. :-) ) (2012)
    – Schatten über Camelot (2005)
    – East Front (1991)
    – The Napoleonic Wars (2002)

    Archipelago zähle ich noch nicht dazu – das wird die Zeit zeigen. Die Chance besteht aber durchaus.

    Das die Archipelago Regeln „gut“ sind, kann ich aber nicht unterschreiben. Sie mögen fast alle Fragen beantworten wenn man sie genau liesst, aber der Aufbau ist schlecht gemacht. :-)

    Oliver