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Intuitiver Siedlungsbau und ein Lesetipp

Gerade fertig gelesen: The Kobold Guide to Boardgame Design (der Link führt zur meines Wissens einzigen Bezugsquelle). Das Buch ist als PDF oder als „echtes“ Buch verfügbar. Im Prinzip ist das Buch eine Sammlung von Essays zu verschiedenen Fazetten des Brettspieldesigns. Was dieses Buch auszeichnet sind zum einen die Autoren, die alle zu den Großen der amerikanischen Szene gehören (u.a. Mike Selinker, Steve Jackson, Richard Garfield, James Ernest) und zum anderen, dass das Buch alle Bereiche abdeckt, die für Spieleautoren interessant sein können: Von Designtheoretischen Überlegungen über die Fragen „Wo kommen die Ideen her“, bis hin zum physischen Basteln von Prototypen, Brettspielentwicklung und dem richtigen Präsentieren der Prototypen beim Verlag. Dabei ist die Qualität der Essays generell sehr hoch. Nur zwei fand ich nicht lesenswert (da zu viel „stating the obvious“ und Selbstbeweihräucherung) und der Artikel über Glücksspiele passt nicht richtig.

Wo das Buch für mich aber echt gewinnt ist zum einen der schön selbstironische Humor, vor allem aber das breite Nähkästchen aus dem die Autoren plaudern. Wenn Steve Jackson über Prototypen berichtet, die ihm zugegangen sind und dann erklärt, warum er sich die nicht näher angesehen hat, so hat das Hand und Fuß. Wenn Peter Peterson (Entwickler von Magic the Gathering und anderen Sammelkartenspielen) über die Schwierigkeiten beim Entwickeln von Sammelkartenspielen schreibt oder Dale Yu über die Entwicklungsgeschichte von Dominion dann sind das Insiderinfos, die man nirgends sonst bekommen kann. Und wenn Mike Selinker (der die Regeln für Hasbro bearbeitet) schreibt was gute Regeln ausmacht und dabei ein paar eigene Fehler und Kuriositäten einfließen lässt , weiß man, dass die Leute wirklich wissen worüber sie schreiben (Mein Lieblingsbeispiel ist aber in dem Artikel über Namen, in dem gesagt wird, man müssen schon aufpassen, dass so ein Name nicht negative Chronotierungen hat – und dann ergänzt „Das haben wir spätestens beim Spiel „Jyhad“ gelernt“).

Hinzu kommt, dass gerade wenns um Spieldesign geht, der Leser nicht als Idiot behandelt wird. Die Aussagen sind wohldurchdacht und umfassen nicht unbedingt die Dinge, die einem sowieso klar sind (wie bei solchen Artikelnoft der Fall). Daher: Wer ausreichend gut englisch kann und sich für Spieleentwicklung interessiert, kommt um dieses ausgezeichnete Werk nicht drumrum. Es hat das Zeug zum Standardwerk!

Mein Lieblingsartikel ist „Design intuitively“ von Rob Daviau, in dem es es darum geht, wie man Spiele intuitiver gestalten kann. Nicht nur durch glätten der Regeln, sondern (und gerade) durch verwenden von Standardfloskeln und Begriffen in der Regel oder bestimmten Kniffen in der Mechanik. Der Autor schreibt (und da folge ich ihm) dass ein Spiel oft unnütz verkompliziert wird. Nicht nur durch überflüssige Regeln, die selten genutzt werden, sondern schlicht durch verwenden merkwürdiger und/oder verwirrender Begrifflichkeiten. Ein Brettspiel (auch ein Vielspielerbrettspiel) sollte nicht unzugänglicher sein als unbedingt nötig. Das sowas oft nicht hinreichend beachtet wird ist mir kurz nach der Lektüre beim Spiel Kingdom Builder noch einmal sehr bewusst geworden.

Nun, Kingdom Builder ist ein im Prinzip regeltechnisch sehr einfaches Grübelspiel der „Mach-das-beste-aus-der-Karte“-Sorte, ein Genre dass ich sehr mag. Und ich mag auch Kingdom Builder. Und doch war ich überrascht, wie unnötig schwer  die Regelschreiber es dem Kunden gemacht haben. Daher nutze ich mal die Gelegenheit und verdeutliche das „Intuitionsprinzip“:

Es fängt damit an, dass die Siegpunkte bei Kingdom Builder „Gold“ heißen. Warum? Es sind Siegpunkte. Oder Ruhmpunkte. Nicht Gold. Gold kann man ausgeben, Gold kommt in Münzen und Gold bekommt man mehr oder minder regelmäßig. So kennt man es aus zahlreichen anderen Spielen. All das ist hier nicht der Fall: Gold gibt es nur bei Spielende und man trägt es auf einer Siegpunktleiste ab. Warum also der Name? Es gibt nicht einmal einen thematischen Grund (wie bei anderen Spiele, die Gold als Siegpunkte nutzen, z.B. Freitag) – im Gegenteil! Warum man mehr Gold bekommt, wenn man in jeder Reihe vertreten ist, wird nicht klar. Ruhm oder Siegpunkte sind abstrakte Konzepte, da ist das OK, Gold?

Nun ist das nur ein kleiner Punkt und wenn es der einzige wäre, so würde ich Master Builder nicht erwähnen (obwohl es dennoch ein schönes Beispiel wäre). Richtig unintuitiv wirds woanders. Und da hatten selbst Vielspieler, die das Spiel schon kannten Probleme mit. Man baut nämlich kleine Häuser. Und bestimmte Siegpunktbedingungen bedingen, dass man mehrere Häuser auf bestimmte Weise beieinander gestellt hat. Wie nennt man das, wenn mehrere Häuser zusammenstehen? Dorf? Siedlung? Stadt? Alls das wäre intuitiv gewesen.

Ja, aber die Häuser sind hier leider keine Häuser sondern Siedlungen. Und mehrere Häuser nebeneinander sind Siedlungsgebiete. Obwohl es gar nicht um die Gebiete geht, sondern um die Häuser. Die beiden Begriffe muss man schlicht auswendig lernen. Beide wären sogar OK gewesen, aber nicht im selben Spiel. Da verwirrt das nur. Zudem man immer genau lesen muss ob es jetzt „Siedlung“ oder „Siedlungsgebiet“ heißt – beide Wörter beginnen ja mit denselben acht Buchstaben…

Auch das ist natürlich keine unüberwindliche Hürde, aber es erschwert das Spielgefühl unnötig. Und es muss extra erklärt werden, was die Regel unnötig lang macht – intuitiv wäre gewesen „Ein Haus ist ein Haus, mehrere Häuser sind eine Siedlung“.

Durch diese Barrieren wird nun die Zielgruppe unnötig verkleinert – Wenigspieler haben tatsächlich mit diesen Dingen Probleme. Und das hätte sich vermeiden lassen.

Wobei mir Kingdom builder nun gerade aufgefallen ist – es gibt doch noch eine Menge Beispiele mehr (besonders schlimm ist immer wenn „Runde“ und „Phase“ vertauscht werden…). Es gibt also noch viel zu tun!

ciao

peer

 

Peer Sylvester
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4 Kommentare

  • Hab mir den Lesetipp sofort zugelegt und kreuz und quer drin gelesen (werde mir natürlich brav alles ansehen). Etwas durchwachsen bisher, die teils flotte und amüsante Schreibe kann die anscheinend in angelsächsischen Sachtexten vorherrschende Tendenz zum Tunnelblick gepaart mit Zeilenschinderei nach meinem Dafürhalten kaum verhüllen … unterm Strich trotzdem lohnenswert.

    Eine Frage: Rob Daviau spricht von intuitivem Regelschreiben und bemängelt die Erklärung der Siegpunktermittlung bei Euphrat und Tigris. Dort heißt es bei ihm sinngemäß, anstatt zu sagen
    „es werden nur die Plättchen der Farbe gewertet, von der man die wenigsten Plättchen gesammelt hat“,
    solle man lieber formulieren
    „nur komplette Farbsätze werden gewertet“.

    Klingt erst mal einleuchtend und elegant, aber nach meiner Erinnerung hat Daviau die Originalregel offenbar nicht verstanden. Knizia und die E&T-Regelschreiber sind ja auch nicht von gestern und hätten seine Set-Collection-Erklärung bestimmt gewählt, wenn sie stimmen würde.

    Helft mir mal, denn E&T ist schon lange her bei mir und ich habs nicht mehr in der Sammlung:
    Ich behaupte der Einfachheit halber, in E&T gäb es Plättchen in vier Farben.

    Spieler A hat vier Blaue, vier Grüne, vier Rote und zwei Gelbe.
    Nach Daviau hat er 2 Punkte (2 komplette Sätze).
    Nach meinem Regelempfinden hat er ebenfalls 2 Punkte (2 in seiner miesesten Kategorie).

    Spieler B hat vier Blaue und drei Gelbe.
    Nach Daviau hat er 0 Punkte (keinen kompletten Satz).
    Nach meinem Regelempfinden hat er aber 3 Punkte (3 in seiner miesesten Kategorie).

    Hab ich was vergessen oder übersehen oder verwechsle ich die Wertung mit einem anderen Spiel oder verstehe ich gar Daviau falsch?

  • Schau an. Ich glaub nicht, dass wir das damals falsch gespielt haben, dürfte eher mein mäßiges Gedächtnis sein und der Umstand, dass ich mich seither mit gefühlten, nein, eher tatsächlichen 500 anderen Spielregeln rumgeschlagen habe (nicht immer, um das Spiel dann auch zu spielen). Also ist die Regelformulierung bei E&T tatsächlich ein übler Schmarren – zur Ehrenrettung der Regelschreiber: sie könnte ein Überbleibsel aus einer redaktionellen Änderung sein, ich kenne das leider nur zu gut – so viel zum Tunnelblick ;)

  • Dank meiner Erinnerung an diesen Artikel konnten wir die Verständnisprobleme bei Kingdombuilder bezüglich Siedlung und Siedlungsgebiet Gott sei Dank rasch lösen! Dennoch ist so etwas eigentlich unnötig und sollte beim Regel schreiben vermieden werden.

    Den Lesetipp habe ich mir auch damals als ich diesen Artikel das erste Mal gefunden habe gleich zugelegt, hatte aber noch nicht die Zeit genauer reinzulesen.