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Meinung: Kramer gibt Kontra

Soeben habe ich in Spielbox 6/2007 den Beitrag von Wolfgang Kramer zur Öffentlichkeitsarbeit in der Spieleszene gelesen. Ein wirklich interessanter Artikel, zu dem mir allerdings einige Punkte aufgefallen sind, die ich im folgenden gerne kommentieren möchte.
Die ersten beiden Drittel des Textes beziehen sich auf den Umgang der Spielbox-Kritiker mit Spielen für Gelegenheitsspieler. Hier wirft Wolfgang Kramer einige interessante Aspekte auf, z.B. die Einführung einer gesonderten Kategorie im Heft. Für mich ok, da die Einstufung eines Spiels aber eigentlich immer über den Text nachvollziehbar ist nicht zwingend notwendig. Überdenkenswert halte ich die Meinung, daß ein Spiel, welches sich fantastisch verkauft (im Beispiel „Monopoly“) ein gutes Spiel sein muss. Nun ich denke, hier gibt es ausreichend viele Gegenbeispiele (ein paar Spiele des Jahres – aber nicht viele davon, meistens liegt die Jury recht gut – Die Säulen der Erde, dann dieser Uno-Klon aus Belgien – habe den Namen glücklicherweise vergessen). Hier sollte nicht verwechselt werden, dass ein Spiel sich verkauft, weil es bekannt ist. Das hat bei den genannten Beispielen manchmal mit gutem Management, guter Werbung oder aber einem seit Jahren gegebenen Bekanntheitsgrad zu tun – seltener mit objektiver Güte. Oder eben im Falle von schlechten Verkaufszahlen mit einem Management, welches noch dazulernen muß – auch hier wird ja im Heftbeitrag ein Spielename ganz oft genannt, wo dies zutrifft.
Die Idee, daß Spiele in der Spielbox nicht zu suchen haben, wenn Sie nicht für Vielspieler sind, halte ich aus Marketing-Sichtweise für – nun – ungewöhnlich und überraschend. Auch der Aspekt, daß der Spielemarkt seit 1995 nicht mehr signifikant zulegen konnte, ist wohl eher dem seit diesem Zeitraum gewachsenen Angebot im Freizeitbereich (siehe z.B. Betrachtungen zum Medienkonsum unter Media Perspektiven) anzulasten. Insgesamt stehen wir in der Spieleszene wohl ganz gut da.
Verwundert bin ich über sein Urteil zu Händlern, denen offensichtlich nicht zugetraut wird, ihre Zielgruppe einzuschätzen – da wundert es mich nicht, daß es immer weniger Fachgeschäfte in Deutschland gibt. Dennoch kann ich ausreichend viele Gegenbeispiele nennen, die durchaus ein selektiertes Spieleangebot für ihre unterschiedlichen Kundentypen aufweisen können und die jetzt vor Weihnachten 20-mal „Verflixxt“ und nur ein „Fürsten von Florenz“ verkaufen.
Die letzten beiden Absätze des Beitrags wenden sich dann an „uns alle“. Hier stimme ich zu: Wir sind Multiplikatoren. Wir sollten versuchen Freunde und Bekannte zum Spielen zu bringen – allein schon aus Eigennutz, damit auch in Zukunft so viele Verlage für uns Spiele produzieren. Aber: Man kann niemanden dazu zwingen. Und vor allem kann man die Spielbox nicht vor diesen Karren zerren. Die Spielbox sollte im wesentlichen schauen, daß sie Gewinn erzielt, denn ich möchte sie auch noch in fünf Jahren – dann auf elektronischem Papier – lesen… Über neue Konzepte zur „Neukundengewinnung“, wie im letzten Satz des Heftbeitrags gefordert, bin ich jedoch gespannt – hier habe ich schon viel ausprobiert und hätte Interesse an einer Diskussion.

Jürgen Karla

4 Kommentare

  • Wie passend, genau das Thema wollte ich für mein Blog wählen. Folglich verfasse ich meinen Blogeintrag diesmal als Kommentar.

    Wenn ein Spieleautor sich über Kritiken zu seinen Spielen beschwert, haftet dem immer erst einmal ein Hauch von „Schlechter Verlierer“ an. Allerdings spricht hier nicht irgendein dahergelaufener Jungautor, sondern immerhin Wolfgang Kramer. Und das ist niemand, der es nötig hätte, sich über Kritiken aufzuregen. Bürgt sein Name doch in Familien- wie Vielspielerkreisen für Qualität. Er wird in der Szene respektiert und gilt als einer der besten Spieleautoren der Welt. Und das mit Recht. Wenn er sich also den Kritiken annimmt, dann sollte man durchaus einmal hinhören.

    Er hat Recht in dem Punkt, dass Spiele Zielgruppengerecht bewertet werden müssen – alles andere macht keinen Sinn. Allerdings sieht er die Sache etwas anders als ich: Als Zielgruppe werden kurzerhand diejenigen definiert, denen das Spiel Spaß macht – wenn man das so sieht, gibt es (fast) keine schlechten Spiele, denn irgendwer findet sich immer. Rezensionen würden dann so aussehen wie die Musikkritiken in der Hauszeitschrift von Saturn: Immer positiv, alle CDs sind immer gut. Damit verliert jede Rezi ihre Aussagekraft.
    Teilt man -wie von Kramer gefordert – die Spiele in Bereiche ein (Vielspieler, Wenigspieler etc.) ist die Sachlage nicht ganz so extrem. Und natürlich ist so eine Einteilung absolut sinnvoll. Nur – sie wird bereits gemacht! „Verflixxt“ und vor allem „Celtica“ müssen sich nicht mit Puerto Rico oder Agricola messen, sondern mit anderen Absackerspielen respektive Familienspielen (oder wie man die Einteilung auch immer nennen will). Und gerade Celtica bewegt sich auch innerhalb diesem Bereiches nunmal besetnfalls im Mittelmaß. Mir fallen auf Anhieb 10 Spiele desselben Genres ein, die besser sind – darunter durchaus auch Spiele von Kramer wie Mitternachtsparty oder Heimlich & Co.
    Kramer legt ein weiteres Augenmerk darauf, dass Leute, die keine Spiele kennen würden, diese Spiele mögen. Nun, das mag sogar stimmen. Wenn ich nichts anderes als Hirsebrei kenne, bin ich vielleicht von dem Geschmack von Matzebrei begeistert, allerdings spricht das immer noch nicht per se für Matzebrei als das beste aller Gerichte. Leute, die keine Spiele kennen, haben ja gerade nichts zum Vergleich. Ein mittelmäßiges Spiel kommt da natürlich gut an. Allerdings würde da nicht ein gutes Spiel noch besser ankommen? Der „Spiele sind ja besser als ich dachte!“-Effekt ist bei guten Spielen besser als bei mittelmäßigen – wenn man ihnen aber nur die mittelmäßigen gibt, wird man das nicht bemerken. Und auch gute Spiele müssen nicht komplizierte Regeln haben (wieder: siehe Mitternachtsparty & Co. Ich würde jederzeit ein Cant Stop empfehlen – ein Celtica jedoch nicht).
    Wo ich Kramer allerdings recht geben kann ist, dass Rezensenten (und hier nehme ich mich nicht aus) dazu neigen auch hervorragenden Absackern (und sonstigen spielerischen Leichtgewichten) die Spitzennoten vorzuenthalten. Vergleicht man Wertungen von Spitzen-Vielspielerspielen mit den Noten der Spitzen-Absackern wird man meistens bemerken dass letztere niedriger ausfallen. Das ist allerdings ungünstig, weil keine zielgruppenorientierte Bewertung. Hier müssen Rezensenten nachbessern und sich auch mal bei weniger anspruchsvoller Kost zu höheren Noten durchringen (und umgekehrt bei mittelmäßigen Vielspielerspielen nicht höher bewerten, nur weil das Spiel der eigenen Zielgruppe angepasst ist).

    Auf das Argument mit der Anzahl der verkauften Spielen ist Jürgen schon eingegangen. Ich möchte nur ergänzen: Schon allein durch den Verlag würde so eine gewisse Qualitätsauswahl getroffen werden: Hasbro kann Mist in Dosen anbieten (und tut das z.T. ja auch) und er verkauft sich dennoch besser als das durchschnittliche Spiel eines kleineren Verlages, der es nicht in die Karstadt-Filialen schafft. Um den Einfluss des Verlages zu verdeutlichen: Allein die Startauflage meines König von Siams ist 3x so hoch wie die Anzahl aller bisher verkauften Jam Dudels, On Qs, Monochrms, So spielt die Welts und Dubiouses zusammen. Das hat mit der Qualität des Spieles erst einmal nur sekundär zu tun…

    Das Spiele mehr angeboten werden müssen, um der Spielebranche zu helfen ist richtig. Aber das heißt nicht, dass man keine Empfehlungen mehr aussprechen sollte – das wäre kontraproduktiv!

    ciao
    peer
    (der Kramer in Essen die Hand schütteln durfte)

  • Ich bin mir dennoch immer noch nicht sicher, welches Ziel Wolfgang Kramer mit seinem Beitrag erreichen wollte. So stellt er sich offen in eine Schußlinie und brüllt laut „Los, feuert“. Ging es ihm in Wirklichkeit nur um die letzten beiden Absätze?

    Viele Grüße
    Jürgen

  • Nun habe ich just die Meinung von Herrn Kramer gelesen und möchte dazu etwas schreiben. Er vergleicht Spiele mit Musik, ich nehme dieses Beispiel auf und möchte meine Meinung darüber versuchen zu erläutern.
    Für mich gibt es gute und schlechte Musik (nicht nur schwarz weiß, aber zum besseren Verständnis hier mal ganz einfach) nach objektiven Kriterien und es gibt Musik, dich gut finde oder schlecht. Ein gutes Beispiel ist für mich Klassik, niemand würde sagen, dass Mozart, Beethoven & Co. keine gute Musik gemacht hätten, aber ich finde Klassik halt nicht so toll. Übertragen bedeutet das, dass ein Spiel hervorragend komponiert, mit tollen Mechanismen ausgestattet ist, ggf. innovativ ist, der Spielreiz für mich jedoch eher gering ist. Die Siedler von Catan wäre ein Beispiel aus der Welt der Spiele.
    Andererseits hat mir das eine oder andere Musikstück, das gar die Charts erreichte und die Massenkompatibilität einprogrammiert hatte, sehr gut gefallen. Vor allem als ich noch Gelegenheitshörer(-spieler) war.
    Nun fordert Herr Kramer aber, dass das Spiele in ihren entsprechenden Kategorien (Jazz, Pop …) gewertet werden sollten, doch da hat der Gute einen riesigen Denkfehler gemacht, wenn man dies auf Spiele übertragen müsste, so müssten dort die Kategorien Mehrheitenspiel, Entwicklungsspiel usw. lauten und nicht Vielspieler und Gelegenheitsspieler, denn dann wäre der Unterschied Musik mit Chart-Orientierung (Pop-Musik) und Independent, ehrliche Musik, wie auch immer man es benennen möchte. Und wenn man das korrigierte Bild nimmt, kann man ruhigen Gewissens sagen, dass der meiste Kram in den Charts Schrott ist. Da dürfen sich Produzenten nicht darüber aufregen, dass ihr Song, mit dem sie viel Kohle machen wollen, künstlerisch sehr limitiert ist.
    Freunde von mir, die Gelegenheitsspieler der Marke „einmal im Jahr“ sind, finden auch komplexe Spiele faszinierend, stehen halt aber nicht so drauf. Soll heißen, sie unterscheiden zwischen guten und schlechten Spielen und Dingen, die sie mögen bzw. nicht mögen. Das bedeutet, dass der Spielreiz der Spielbox-Kritiker immer auch eine künstlerische Wertigkeit beinhaltet. Darüber kann man sich nicht aufregen, schließlich sind Kritiken subjektive Betrachtungen unter Berücksichtigung möglichst objektiver Kriterien.
    Herr Kramer wird durch eine schlechte Kritik seiner Spiele für den Gelegenheitsspieler (Chart-Konsumenten) in einem Magazin für Vielspieler (wie JazzThing, Source usw.) kaum Konsumenten verlieren, also wieso der Aufruhr diesbezüglich? Die Leute (Gelegenheits- als auch Vielspieler) kaufen Dinge, die ihnen häufig vor die Nase gehalten werden, der eine mehr der andere weniger. Deswegen gibt es Werbung.
    Dazu noch ein Hinweis: Ich war „überrascht“, dass ein Erweiterung für 5-6 Spieler das Cover der Spielbox ziert, wo doch so viele neue interessante Spiele innen im Heft besprochen werden. Tja, so ganz unparteiisch kann eine Fachzeitschrift sein wohl dann doch nicht sein… ;-)

  • Bezüglich des Covers: Das ist ganz einfach eine mietbare Werbefläche. Nichts geheimnisvolles hier.

    Ansonsten: Dein Beitrag hat ganz schön aufgezeigt, was Kramer (vermutlich) wirklich will: Die Diskussion Kunst vs. Kommerz die es in Literatur und Musik schon lange gibt auch in die Spielewelt zu übertragen.
    Ist ein Kunstwerk das niemand versteht (mag) künstlerisch wertvoll?
    Ist es nicht eine ebensolche Leistung die Massen anzusprechen?