spielbar.com

Wie kann ich wollen, was ich will?

Allgemeinplatz 1: Spiele sollen Spaß machen

Allgemeinplatz 2: Spiele, die mir keinen Spaß machen, interessieren mich nicht.

 
 Wirklich so einfach? Blog schon wieder am Ende? Fällt dem Peer bereits beim ersten Blog nichts ein?

 
Doch. Aber ich muss etwas ausholen:

 
Es war einmal ein Spiel namens „Civilization – The Boardgame“, erschienen bei Eagle Games. Jeder wollte es. Dann trudelten die ersten Testberichte ein. Im Grunde genommen lassen die sich so zusammenfassen: „Das Spiel ist nicht richtig ausgetestet. Es dauert zu lang, ist zu glücksabhängig und macht keinen Spaß.“ Soweit nichts besonderes. Normalerweise hätte die Szene mit Kopfschütteln reagiert „Ja, ja, interessanter Ansatz, aber es gibt so viele gute Spiele.“ Und das Spiel wäre in irgendeiner Versenkung verschwunden. Und das zu recht.

Doch aus irgendwelchen Gründen kam es anders. Viele Spiele –und auch ich- dachten sich.

Naja, das Spiel ist Schrott – aber es ist CIVILIZATION! Ich muss es trotzdem haben. Wird schon nicht so schlimm sein. Und es wurde gekauft. Und eigentlich waren sich fast alle einig: Eigentlich war es doch so schlimm. Eigentlich war es ohne Hausregeln nicht spielbar. Also wurden Hausregeln entwickelt. Und das nicht zu knapp; teilweise waren die Hausregeln umfangreicher als die eigentlichen Spielregeln. Und genützt hat’s nicht viel – Mehr als Mittelmaß konnte man aus dem Spiel nicht rausholen. Dennoch wurde es irgendwie alles beschönigt „Ja, es ist zu lang, zu glücksabhängig, schlecht designet und es benötigt mehr Hausregeln als das gesamte Marburger Spielearchiv, aber man kann es trotzdem gut spielen. Irgendwie. Wenn man nicht daran denkt, das man stattdessen so viele andere, bessere Spiele spielen könnte…“

 
Ein komischer Effekt, nicht wahr? Und beileibe kein Einzelfall. Die aktuellen Meldungen und Posts bezüglich Khronos erinnern mich an Civilization. Gehörte Meinungen: „Das Spiel ist zu lang, zu konfus. Gute Idee, aber nicht sauber ausgearbeitet.“ Kommentare dazu: „Ach, bestimmt wird’s besser, wenn man das Spiel beherrscht. Es ist halt ungewöhnlich. Ach, dann spiele ich es eben nur zu dritt, dann geht’s bestimmt irgendwie.“ Moment mal? Ist dies das Forum das sonst in die Luft geht, wenn mal eine Regel eine destruktive Spielweise ermöglichen könnte? Das Forum das Ballon Cup unspielbarkeit bescheinigt hat? (Ich warte immer noch auf meinen ersten Aufhänger)

 
Gleich ein Disclaimer: Ja, nicht alle Meldungen sind negativ. Ich hab das Spiel auch nie gespielt (die Kommentare auf der Spiel haben mich nicht gerade animiert dieses recht teure Spiel blind zu kaufen). Mir geht’s hier auch gar nicht um Khronos als Spiel, sondern um den Effekt. Warum werden negative Kommentare schön geredet?

Wie sind Kommentare zu erklären die ungefähr lauten: „Kann noch jemand bitte etwas positives über das Spiel sagen, ich möchte es gerne kaufen und bislang fanden es alle, die es gespielt haben, schlecht“? Warum gilt die Ein-Spiel-muss-auf-anhieb-Spaß-machen-Regel nicht mehr und wird ersetzt durch „Ja, die erste Partie muss man abhaken. Das Spiel macht erst nach einigen Partien Spaß!“ (Nun, das trifft auch auf Raucen Bie und chinesische Wasserflter zu).

 
Dieser Effekt geht über normalen Hype hinaus, das ist etwas anderes:

Das Spiel reizt.

 
Und dieser Reiz hat erste einmal nichts mit dem Spielwert zu tun – viele „Ich wills mögen“-Kommentare stammen von Spielern, die das Spiel noch gar nicht kennen.

 
Woran kanns liegen? Die Spielidee klingt toll: Zeitreise ist ein reizendes Thema und wurde bislang noch niemals so richtig gut umgesetzt. Hinzu kommt wirklich beeindruckendes Material. Man kann sich vorstellen, dass das Spiel toll ist. Genauso wie man es sich gut vorstellen kann, dass eine Brettspielfassung von Civilization (vielleicht das beste aller Computerspiele, wenn es so was gibt) ein total gutes Vielspielerspiel ist. Oder die Brettspielfassung von Pirates (wäre die zeitliche Ankündigung irgendwie realistisch gewesen, wäre es allen egal gewesen, dass hier derselbe Autor am Werke ist, wie bei Civi – Geschichte wiederholt sich doch). Und mehr noch: Man WILL dass das Spiel toll ist. Man WILL ein Zeitreise-Spiel, dass gut funktioniert. Verhaltenspsychologen haben rausgefunden, dass das Gehirn eine spontane, unüberlegte Handlung im nachhinein begründet – und das passiert im hohen Maße auch für diese „Das muss gut sein“- Spiele.

 
Dieses Phänomen wirft die für Verlage natürlich besonders interessante Frage auf: Was reizt die Spieler so sehr, dass mittelmäßiges (oder gar schlechtes) Spieldesign sekundär wirkt? Ein Thema muss her, bei dem die Spieler sich vorstellen können, ein Meilenstein liegt vor. Das Anhängen an ein beliebtes Computerspiel scheint ebenso funktionieren – ironisch, wenn man bedenkt, dass Vielspieler „Merchandising“ eher kritisch gegenüberstehen. Was könnte einen ähnliches Effekt auslösen? Alpha Centauri- Das Brettspiel? M.U.L.E.?
 
Ich glaube aber die Frage nach dem Warum bleibt unbeantwortbar. Urinstinkte werden da angesprochen, raional ist das Beiseite schieben nicht. Oder um mit einem Gleichnis zu schließen:

In dem Buch „Into thin Air“ beschreib Jon Krakauer wie er den Mount Everest besteigt. Die Besteigung ist voller Qualen und Entbehrungen und letztlich ist er zu müde und m Sauerstoffmangel und der Kälte zu ausgelaugt um den Moment am Gipfel zu realisieren, geschweige denn zu genießen. Der ganze Kern des Buches ist „Es lohnt sich nicht“. Und doch: Beim Lesen räkelt sich tief in mir das Verlangen auch dahin zu gehen. Völlig irrational, denn ich habe noch nie einen Berg bestiegen oder bin auch nur klettern gewesen. Dennoch, irgendwo regt sich dort ein Verlangen…

 
Und so muss das mit Khronos auch sein.

 
Peer

Peer Sylvester
Letzte Artikel von Peer Sylvester (Alle anzeigen)

1 Kommentar